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Potsdam-Mittelmark: „Aus dem Orient“

Otto Häuser las Ottokar Domma – in Kleinmachnow, dem Ort seines allerersten Vortrags

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Otto Häuser las Ottokar Domma – in Kleinmachnow, dem Ort seines allerersten Vortrags Von Gerold Paul Kleinmachnow. Ottokar, das Früchtchen, war noch nie ein Dumma. In tiefsten Ostzeiten schmunzelte ein ganzes Volk, wenn seine Streiche im „Eulenspiegel" erschienen. Etwa sein „schönstes Erlebnis“: Die Schul-Sekretärin Stechlein nahm einst einen Anruf von „ganz oben“ entgegen. Die Schüler sollten sich zu einer bestimmten Zeit mit „Winkelementen“ an die Straße stellen, denn „der Fischkoch kommt“. Gesagt, getan. Während der brave Schüler Ottokar noch über den Rostocker Dicken mit Schnurrbart sinniert, der einmal pro Woche „bei uns im Fernsehen“ entsprechende Rezepte vorstellt, erscheint ein gewaltiger Konvoi mit der bekannten Staatskarosse. Ottokar Domma wundert sich: So berühmt soll dieser kellenrührende Gourmet sein? Mehr noch, als das vermeintliche Nordlicht den Gruß der Pioniere nicht mal erwidert. Die Pointe dieser wahren Ge-schichte ist gar nicht schlecht: Frau Stechlein hatte nicht richtig zugehört. Nicht der Fischkoch wurde angekündigt, sondern der bulgarische Staats-Chef Shivkov. Solcherart ist der Humor dieses kreuzbraven Ost-Buben Ottokar seit 37 Jahren geblieben. Naiv wie bei Schwejk, hintergründig wie Valentin, schnurrt und dichtete sich sein geistiger Vater damit durch Jahre und „Systeme", bis heute. Immer mit freundlich-kritischem Lächeln. Man las ihn gern, vieles blieb dem Gedächtnis erhalten, so, dass Otto Häuser am vergangenen Donnerstag bei seiner Lesung in den Kleinmachnower „Kammerspielen" ein gutes Publikum hatte. Der große Saal war fast zur Hälfte gefüllt, was sicher auch den Eigentümer und Betreiber des Hauses gefreut haben dürfte: Neben Filmvorführungen und Theater-Programmen kommt jetzt auch das Literarische wieder in Ehren, nachdem sich die Gemeinde mit der kulturpolitischen Verantwortung für dieses traditionsreichen Hauses nach wie vor schwer tut. Es geht also weiter, vor Ort. Für den 80-jährigen Häuser war diese 90-minütige Lesung wie eine Rückkehr zu den Anfängen, denn in irgendeiner Kleinmachnower Kneipe hatte der Autor seine allererste Lesung, wo genau, wusste er nicht mehr zu sagen. Das Publkum half ihm zwar, doch bleibt der Ort des Beginnens weiter verborgen. Vielleicht ist das gut so. Otto Häuser las mit fester und fröhlicher Stimme aus dem „Großen Ottokar-Buch", ein Jubiläumsgeschenk zur Leipziger Buchmesse, jüngst. Darin sind Altes und Neues enthalten, Geschichten etwa, wie Großvater der Großmutter das Nachthemd zerhackte: Beim Kauf eines neuen spürte man den liebevoll-kritischen Humor des Autors: Nicht zu vieles verlangen, die Verkäuferinnen müssten sich doch ausruhen. Wink-Elemente, Kalauer und andere Sachen inklusive, war er wieder da, der Mief des kleinen Fleckens DDR, gefiltert durch die Geschichte – und die leicht grimmige Freundlichkeit Häusers, welcher sich selbst als „linkssentimentalen Poeten" bezeichnete. 37 Ottokar-Jahre gingen an ihm nicht spurlos vorbei: Manchmal hatte man den Eindruck, als wären Autor und Figur nur eine Person. Er ist auch heute gut im Geschäft. In der Pause konnte man Bücher für Kinder und Erwachsene kaufen, oder Lebenserinnerungen, nach Ende der Veranstaltung vom Autor signiert. Vonderwerth illustriert sie noch immer. Einige Gäste brachten sogar Ottokar-Veteranen mit, damit Häusers Namenszug sie noch nachträglich ziere. So hat er die Wendezeit überlebt. Mehr „im Osten" als im Westen, denn jenseits der Elbe verstehe ihn keiner, weil man mit Worten wie Patenbrigade oder „Pilei''s" (Pionierleiter) nichts anzufangen wüsste. Für den Fall, dass „Neuzugezogene" im Saale wären, erklärte er das, sicher ist sicher, noch einmal, ironisch, wie seine Art ist. Vom Westen her kam 1990 auch eine füllige Türkin, um Teppiche zu verkaufen. Wieder wunderte sich das alte Früchtchen, dass extra jemand „aus dem Orient" zu ihm fand, um Geschäfte zu machen. Ottokar also lebt. Na bitte.

Gerold Paul

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