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KulTOUR: Äußerster Osten – äußerster Westen Der Autor Helmut Böttiger stellte sein zweites Buch über Paul Celan vor

Michendorf · Wilhelmshorst - Sturm und Regen konnten die Fans des bukowinischen Poeten Paul Celan, der eigentlich Paul Antschel hieß, von ihrem Weg ins Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus kürzlich nicht abhalten. Die Einladung war ja auch zu verlockend: Von Dichterliebe „zwangsjackenschön“ war die Rede, von Liebe auf den ersten und den zweiten Blick.

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Michendorf · Wilhelmshorst - Sturm und Regen konnten die Fans des bukowinischen Poeten Paul Celan, der eigentlich Paul Antschel hieß, von ihrem Weg ins Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus kürzlich nicht abhalten. Die Einladung war ja auch zu verlockend: Von Dichterliebe „zwangsjackenschön“ war die Rede, von Liebe auf den ersten und den zweiten Blick. Und sie kamen, bis der Leseraum voll war, Bekannte und Unbekannte, Ältere und diesmal auch mehr Jüngere.

Der Publizist und Autor Helmut Böttiger stellte sein zweites, in essayistischer Prosa geschriebenes Buch über den 1920 geborenen Dichter aus Czernowitz vor. Er wollte es mit treffender Schlichtheit „Celan am Meer“ nennen, doch sein Verlag ergänzte den Titel zur besseren Vermarktung um den Zusatz „Wie man Gedichte und Landschaften liest“, was dem Urheber freilich allzu programmatisch dünkte. Ein solcher ist immer hinten: Da germanistische Lektoren „mit ihrem Herrschaftswissen“ bestimmen, was der aktuellen Lehrmeinung ihrer Zunft gerade entspricht, was mithin gedruckt wird, sieht Böttiger eher mäßige Chancen, sein jüngstes Werk auf dem Markt zu etablieren: es war jenen Herren nicht „wissenschaftlich“ genug.

Der Verfasser, seines Standes selbst Germanist, wählte nämlich einen bewusst „subjektiven“ Zugang zum Werk des jüdischen Dichters. Er bereiste – vom äußersten Osten des einstigen Europas, Czernowitz also, welches zuerst zum Wien der K.-und K.-Monarchie gehörte, dann an Rumänien, schließlich an die ukrainische Sowjetunion fiel – sämtliche Loci Celans bis nach Paris, endlich sein Refugium in der Bretagne, äußerster Westen des Festlandes.

Böttiger beschreibt diese Orte, er versucht, aus ihnen heraus den Geist jener Dichtung zu fassen, was sein Buch zwar in etlichen Gedichtanalysen anzeigt, dem Publikum allerdings vorenthalten wurde. So hörte man viel Deskriptives zu Landschaft und Wort, viel Erlebtes aus der alten Bretagne, von Menhiren und jenem aristokratischen Grafen – Bruder des Schlossherrn, bei dem Celan logiert und „Bambus geschnitten“ (aus „Die Niemandsrose“) haben will und der einfacher lebt als ein Sozialhilfeempfänger in Deutschland.

Bambus, an der Küste des Golfstroms gar nicht ungewöhnlich, brachte die akademisch interpretierende Zunft der Germanistik schier zur Verzweiflung: War buddhistische Esoterik gemeint, bei Celan? I wo! Böttiger entdeckte das Gewächs vor Ort genauso, wie er jene Digitalis auf dem hundert Hektar großem Schloss-Gelände fand – Fingerhut hieß eine frühe Liebe des Dichters! So kommt das jenseits der Akademie ganz „natürlich“ zusammen! Man erlebte dank Böttiger also geradezu ein Lehrstück in Sachen Poetik und ihres Widerparts, der Schulen der Gelehrten.

So viel war an diesem Abend zu holen. Der Autor schildert seine Begegnungen und Erfahrungen mit einer Ausführlichkeit, welche den Moderator Renatus Deckert zwar beeindruckte, im Kontext des Laufenden aber langatmig wirkte. Nach seinen Impulsen befragt, verwies er auf die „alternativen Buchläden“ der siebziger Jahre, darin er Celan (Freitod 1970) zuerst fand, ihn aber während seines Studiums bewusst negierte.

Alternative Buchläden? Der Co-Veranstalter dieses Abends, Carsten Wist, könnte hellhörig geworden sein, denn solche Sachen gibt es für den intellektuellen Nachwuchs heute nicht mehr. So waren es doch noch zwei gute Stunden, zumal die Wilhelmshorster Chi Geng- und Tai-Chi-Schule dem Huchel-Haus auch in diesem Jahr opulent spendete – „damit es weitergehe“. Alles wegen Celan, Klasse!

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