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KulTOUR: Bach für Spezialisten

Michael Erxleben und fünf seiner Schüler mit „Sei Solo“ in der Kleinmachnower Kirche

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Kleinmachnow - Um Kleinmachnow eine neue Kirche zu bauen, organisiert die evangelische Gemeinde des Ortes für 2013 eine opulente Serie von Benefiz-Konzerten an unterschiedlichen Orten, mal im Augustinum, mal in der Auferstehungskirche oder in den Neuen Kammerspielen. Am Sonnabend gab es in der Kleinmachnower Dorfkirche eine mehrstündige Aufführung von Johann Sebastian Bachs „Sei Solo á Violino senza Basso accompagnato“, BWV 1001-1006.

Es handelt sich um ein geschlossenes Werk aus dem Jahr 1720, bestehend aus drei hochkomplexen Sonaten und drei Partiten für Solo-Violine, die Kantor Karsten Seibt mit den erwähltesten Stücke aus Schemellis Gesangbuch vermengte. Ausführende Instrumentalisten waren der Violinist und Hochschullehrer Michael Erxleben, der von der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ gleich fünf seiner Studenten mitgebracht hatte.

Den Vokalpart zu Liedern wie „Gib dich zufrieden und sei stille“ (BWV 460) oder „Brunnquell aller Güter“ (BWV 495) (damit war natürlich nicht Bach gemeint) übernahm Caroline Seibt, ihr Vater begleitete sie an der Orgel. Voll war die Kirche zur Vesperzeit, nach gut drei Stunden waren es ein paar weniger.

Klar, Bachs zur Selbstverständigung, also nicht zum öffentlichen Musizieren gedachten Exerzitien muss man schon irgendwie mögen, sonst hält man solche geballte Intelligenz über Stunden unmöglich durch. Verstehen kann man sie ohnehin nicht. Bach ist eben Bach. Kantaten oder Oratorien mögen für jedermann sein, die analytischen Werke der Spätzeit sind es mitnichten.

Das Publikum also schien die betont akademisch ausgerichteten Beiträge mit voller Sachkenntnis zu genießen. Wem dies nicht vergönnt war, der konnte ja über den doppelsinnigen Titel „Sei Solo 1720“ (deutsch oder italienisch?) nachdenken, oder ob strukturelles Herangehen und technische Perfektion (solche Eindrücke gab es immer wieder) tatsächlich schon alles sind, gerade beim „analytischen Rechenmeister“ Bach, dessen Musik ja bekanntlich auf den Säulen Ratio, Minne und Power ruhten.

Linda Fichtner zeigte in einer brillanten Interpretation der zweiten Partita d-moll BWV 1004, wie es anders geht. Sie meisterte alle Hürden, indem sie diesem ausgeklügelten Konstrukt einfach Leben von außen, von sich, einflößte. Wenn das geht, hat sich der arme Kerl wenigstens nicht umsonst mit sich selber geplagt.

Es gab aber auch Passagen, wo der Schüler einfach nur seinen Lehrer (Erxleben spielte mit gedämpftem Temperament die zweite Sonata, BWV 1003) lobte; Passagen, wo das Formale blieb, was es ist: etwas Technisches, Langweiliges, etwas Totes. Ein Fall für den trainierten Spezialisten. Hätte man bei der Gesamtdarstellung dieses Werkes, wo sich hochgepushte Mehrstimmigkeit auf ein einziges Instrument konzentriert, auf den grundsätzlich experimentellen Charakter solch einer Übung besonnen, es wäre wohl ein ganz anderes Konzert geworden!

Irina Granowskaya suchte der ersten Sonata (BWV 1001) eigene Substanz abzugewinnen, Jakob Lehmann stellte die erste Partita (BWV 1002) mit dem in die Solostimme hineinkomponierten Basso vor, Luisa Rönnebeck erhielt für ihren temperamentvollen Vortrag der Sonata 3 (BWV 1005) Bravos und stehende Ovationen.

Jonas Zschenderlein (dritte Partita, BWV 1006) bedankte sich schon vorab, weil die Zuhörer „so lange ausgehalten“ haben; was für ein ehrlicher Mann! Gerold Paul

Gerold Paul

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