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Erschwerte Bedingungen. Viel Kraft und Geschick ist notwendig, um den Ball vom Rolli aus in den Korb zu befördern.

© Henry Klix

Potsdam-Mittelmark: Basketball im Rolli – ein Praxistest

Sportstunde am Gymnasium Werder half, die neue Mitschülerin besser zu verstehen

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Werder (Havel) - „Das fühlt sich richtig cool an“, meint der zwölfjährige Eric. Beim Slalom Staffelstäbe übergeben, einen Basketballkorb treffen und beim Völkerball einem Ball ausweichen – Sport wurde gestern im Ernst-Haeckel-Gymnasium in Werder unter erschwerten Bedingungen unterrichtet: in Rollstühlen. Man brauche mehr Kraft, um den Ball in den Korb zu befördern, befand Eric. „Für einen gewissen Zeitraum ist das ja okay.“ Ein ganzes Leben wolle er nicht auf den Rolli angewiesen sein.

Für seine Mitschülerin Zöhre ist das Realität. Sie ist die erste Rollstuhlfahrerin, die im Werderaner Gymnasium aufgenommen wurde – eine der wenigen behindertengerechten Schulen in der Region. Auf die Stützräder, die verhindern, dass ihre Mitschüler nach hinten kippen, ist Zöhre nicht angewiesen. Im Rollstuhl bewegt sie sich mühelos, nimmt in anderen Sportstunden an vielen Übungen teil. „Bei Spielen ist das manchmal sogar ein Vorteil“, sagt sie. Gestern hielt sie sich aber zurück und schaute zu: „Man sieht, dass es den anderen Spaß macht.“

Ihre Eltern hatten gemeinsam mit der Klassenlehrerin die besondere Sportstunde organisiert. Zöhres Vater, Mirko Primus, ist selbst Rollstuhlfahrer und arbeitet im Rollivertrieb der Firma „Reha team vital“. Mit dem Wissen, wie ein Aktiv-Rollstuhl sich bewegt, könnten die Mitschüler auch Zöhre besser verstehen und begegnen, wissen, wann sie mal zupacken und besser Platz lassen sollten. Diese Erfahrung hatten die Eltern bereits gemacht, als die Tochter in die Grundschule aufgenommen wurde – auch dort fand die „Teststunde“ statt. „Bei Anfragen machen wir das gern auch in anderen Schulen“, bot Mirko Primus gestern an.

Die Schüler probierten gestern ausgiebig, wie ein Rollstuhlfahrer Fahrt aufnehmen, lenken und bremsen kann, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. Ein „ganz anderes Gefühl“ sei es, sich auf diese Art zu bewegen, befand die zwölfjährige Lea, die sich in den ersten Schultagen bereits mit Zöhre angefreundet hat. „Das ist bestimmt ziemlich schlimm mit dem Rollstuhl, aber Zöhre ist sehr nett.“ Zöhre fühlt sich ihrerseits gut aufgenommen in ihrer neuen Klasse, ihre Behinderung spiele im Schulalltag kaum eine Rolle.

Klassenlehrerin Antje Buchwald war mit dem Ergebnis der Doppelstunde sehr zufrieden. „Integration ist für uns noch ein neues Thema“, sagte sie. Zum Jahresanfang hatte ihr die Schulleitung von den zwei Integrationsanträgen erzählt. In ihrer Klasse lernt auch noch ein schwerhöriges Mädchen. Externe Hilfe und Beratung gab es nicht.

Dafür hat Buchwald statt 28 nur 23 Schüler und eine zweite Klassenlehrerin an der Seite. Anders würde es nicht gehen – Alltagsfragen seien zu klären, denn das behindertengerechte Haus löse längst nicht alle Probleme, so Buchwald. So müsse auch ein neuer Rettungsplan aufgestellt werden, weil der Fahrstuhl im Ernstfall nicht genutzt werden kann. „Verhaltensgestörte Kinder sind aber viel schwieriger“, meint Buchwald.

Bei allen Erfolgen der gestrigen Sportstunde: Mit Schulleiter Jörg Ritter stimmt sie überein, dass Förderschulen ihre Berechtigung behalten. Die Inklusions-Debatte verfolgen beide skeptisch. „Inklusion geht bis zu einem gewissen Maß“, so Ritter. Zöhre sei mit ihren Potenzialen gut im Haeckel-Gymnasium aufgehoben. Für viele andere Behinderungen würden Förderschulen aber auch künftig gebraucht.

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