zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Bei Anruf Geld

Im Vodafone-Callcenter in Stahnsdorf wurden für den RTL-Spendenmarathon Überstunden gemacht – vom Betriebsrat empfohlen

Stand:

Stahnsdorf - Yvonne Becker überlegt, ob sie nicht doch lieber prominent werden soll. Zumindest ein Telefonat lang. Sie könnte den Hörer abnehmen und sagen: „Hallo, ich bin Eva Hassmann, die Frau von Otto.“ Noch ist sie nicht soweit, brav sagt die Vodafone-Call-Center-Agentin: „Willkommen beim RTL-Spendenmarathon, mein Name ist Yvonne Becker.“

Wer von Donnerstagabend bis gestern 18 Uhr beim Fernsehgucken auf RTL zappte, sich zu einer Spende animieren ließ für die Aktion „Wir helfen Kindern“ und die 0800-0163 163 wählte, brachte an den Telefonapparaten in den fünf deutschen Call-Centern von Vodafone ein grünes Lämpchen zum Leuchten. 1500 Mitarbeiter des Mobilfunkunternehmens nahmen während des 24-Stunden-Marathons mehr als 50 000 Anrufe entgegen. Im Stahnsdorfer Callcenter, dem größten von Vodafone in Deutschland, hatten sich 320 Mitarbeiter zum freiwilligen Telefondienst gemeldet. Nicht nur Talk-Profis, die Anrufern sonst erklären, wie ihr Handy funktioniert oder was die Zahlen auf ihrer Handy-Rechnung bedeuten, die bei verschusselten PIN-Nummern und Codes aus der Patsche helfen, sitzen an der Strippe. Auch die Kollegen aus der EDV und sogar vom Betriebsrat machen freiwillig Überstunden – der guten Sache wegen.

Ein Kreuz aus zwei blauen Trennwänden schafft vier Arbeitsplätze: Tisch, Computer, Telefon und Kopfhörer - mehr braucht ein Callcenter-Agent nicht für seinen Dienst. Ein gutes Dutzend dieser Kreuzungen reiht sich in einem schmalen, langen Raum zu einer Telefon-Kette auf. Drei Stunden nach Beginn des Spendenmarathons hat der Klingelsturm nachgelassen. Redepause. Pausengespräche. Das übersichtliche Buffet mit Weintrauben und Gebäck wird geplündert.

Seit acht Jahren arbeitet Yvonne Becker in dem Stahnsdorfer Callcenter. „Man denkt anfangs nicht, dass man so lange bleibt“, sagt sie. Doch der Job ist okay. Die vielen Kunden, nette Kollegen, der Arbeitgeber zahlt pünktlich – selbst der Schichtdienst ist kein Problem. „Dadurch kann ich meine Tage flexibel gestalten“, meint Yvonne Becker. 16 000 Anrufer hat das Stahnsdorfer Callcenter täglich in der Leitung. Sie verlangen schnelle und kompetente Aufklärung, „manchmal auch ein bisschen Seelsorge“, sagt Center-Manager Hans Geißelmeier.

Am Donnerstagabend werden Stars verlangt. RTL hat seine Serienhelden und Lieblingsmoderatoren für den Telefondienst rekrutiert. Mit Glück hat man sie an der Strippe, doch eher meldet sich ein Vodafone-Mitarbeiter. Wer wirklich spenden will, macht da keinen Unterschied. Doch manche fragen ungeniert: „Sind Sie ein Star?“. „Nein,“ sagt Yvonne Becker. Klick, aufgelegt. Mit jedem Telefonat, das so endet, wächst dieVersuchung, den Promi-Bonus zu testen. Doch sie bleibt, wer sie ist.

Dass Vodafone Geschäfte mit Handys macht, liegt in der Natur eines Mobilfunkanbieters. Doch das Unternehmen macht auch Geld mit ausrangierten Telefonen. Für jedes zurückgegebene Gerät spendet der Konzern fünf Euro für eine gemeinnützige Einrichtung. Seit drei Jahren gibt es die Recycling-Aktion. In diesem Jahr entschied Vodafone, das gesammelte Geld der Handy-Schrottsammlung an die RTL-Stiftung zu überweisen. „Bis uns einfiel: Wir können ja noch viel mehr,“ so Pressesprecherin Anka Vollmann. Telefonieren nämlich. 24 Stunden stellte Vodafone sein Netz und Personal für den Spendenmarathon zur Verfügung. Über die gesamte technische und kommunikative Abwicklung der Hotline führte das Unternehmen Regie.

19 Mal flimmerte der Spendenaufruf samt Hotline jeweils für drei Minuten über den Bildschirm. Mit spürbarer Folge: Wie in einem Cockpit begannen unmittelbar danach in dem Callcenter grüne Lämpchen zu blinken. Die nächste Klingelwelle flutete den Raum. Finger schnellten über PC-Tastaturen. „Hallo, willkommen beim RTL-Spendenmarathon.“ Namen wurden buchstabiert. „Wie viel wollen sie spenden?“ Ein Banken-Kaleidoskop drehte sich durch die Spendennacht: Sparda, Commerz, Raiffeisen, Hypo „Vielen Dank für Ihre Spende!“ Und der nächste bitte!

Eine Spende von 15 000 Euro hat Vodafone-Mitarbeiter Alfred Wissel soeben notiert. Damit ist er Spitzenreiter beim internen Ranking im Stahnsdorfer Callcenter. Mit zehn Euro kann man in Südamerika 60 Kinder gegen Masern impfen lassen. 100 Euro kostet die Berufsausbildung eines Mädchens in Südostasien. Für 500 Euro kann ein Kind in Asien fünf Jahre lang essen.

Mit den Einnahmen des 11. RTL-Spendenmarathons werden Hilfsprojekte in Kolumbien, Litauen, Malawi und auf den Philippinen, eine Schule für suchtgefährdete Kinder in Berlin und ein Ferienheim für benachteiligte Kinder im brandenburgischen Mötzow unterstützt. Bei Kassensturz gestern Abend um 18 Uhr wurden 5,15 Millionen Euro gezählt. Die wohl höchste Telefonrechnung, über die sich keiner beschwert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })