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Potsdam-Mittelmark: Beweglicher lernen

Grundschüler in Fichtenwalde bekommen in drei Flex-Klassen maßgeschneiderten Unterricht

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Grundschüler in Fichtenwalde bekommen in drei Flex-Klassen maßgeschneiderten Unterricht Von Michael Kaczmarek Beelitz-Fichtenwalde. Paula ist fünf und in ihrer Klasse eine der Pfiffigsten. Sie kann ihren Namen richtig schreiben und auch bei den ersten Zählversuchen hat sie schnell das richtige Ergebnis parat. Paula sitzt in dieser Stunde neben Ingo. Er wird bald acht, ist einen halben Kopf größer als Paula, aber das Schreiben fällt ihm nicht leicht. Zusammen mit Paula geht er noch einmal das ABC durch, dafür hilft Ingo ihr beim Einmaleins. Schließlich gehen sie in die selbe Klasse, eine Flex-Klasse. Flex steht für ein bewegliches Lehrmodell, das derzeit an 76 brandenburgischen Grundschulen umgesetzt wird. Die Grundidee: Kinder sollen gemäß ihren Fähigkeiten und Begabungen gefördert und gefordert werden. Anstatt der Klassen eins und zwei gibt es die Flex-Klassen – so seit diesem Schuljahr auch an der Grundschule in Fichtenwalde. Hier werden beide Jahrgänge gemischt und gemeinsam in insgesamt drei Flex-Klassen unterrichtet. Dabei bekommt jedes Kind seinen Tages- und Wochenplan. Das heißt, dass Kinder, die schon ein Jahr in Fichtenwalde zur Schule gehen und in der „zweiten Klasse“ lernen würden, andere Aufgaben bekommen als ihre neu eingeschulten Tischnachbarn. Im Laufe der Monate können dann schnelle „Erstklässer“ auch Aufgaben der Großen lösen und manche „Zweitklässler“ gehen, bei Bedarf, mit den Kleinen noch einmal das Alphabet durch. Dabei lernen die ABC-Schützen in Flex-Klassen ebenso 20 Stunden pro Woche wie in Regelklassen. Doch bei den Flex-Schülern kommen in 12 der 20 Stunden noch zwei Lehrer hinzu, so dass die Klasse geteilt werden kann. Ein Teilungslehrer beschäftigt sich 7 Stunden mit den „Fortgeschrittenen“, um sie mit neuen Aufgaben zu fordern. Ein Sonderpädagoge beschäftigt sich indes 5 Stunden pro Woche mit den förderbedürftigen Schülern. Eine Klasse überspringen Ab fünf Jahre kann jeder in eine Flex-Klasse eingeschult werden, danach zählt der persönliche Lernfortschritt: Schüler, die im Unterricht schnell mitkommen, müssen kein zweites Jahr in der Flex-Klasse bleiben, sondern rücken direkt in Klasse drei auf – unabhängig vom Alter. Das ist eine interessante Möglichkeit für begabte Schüler, die den Unterrichtsstoff von zwei Jahren in einem erlernen. „Im August haben wir Analphabeten eingeschult, aber die schnellsten werden schon zu Weihnachten lesen können", ist Ulf Gehrmann, Leiter der Grundschule Fichtenwalde, überzeugt. Wenn solche Kinder nicht gefordert werden, langweilen sie sich und verlieren das Interesse am Unterricht. „Bisher werden alle Schüler nach der Einschulung auf ein Ausgangsniveau gebracht, von dem dann zusammen gestartet wird. Damit werden manche Kinder gebremst“, meint Gehrmann. Das zu verhindern und statt dessen Begabte individuell zu fordern, ist aber nur ein Flex-Ziel. Ein anderes besteht darin, auch Kinder mit Lernschwächen zu unterstützen. Sie können ein drittes Jahr in einer Flex-Klasse bleiben, während der Sonderpädagoge das Lerndefizit analysiert und versucht auszugleichen. So bleiben auch die Lernschwachen mit jüngeren Schnelldenkern zusammen und werden in die Klasse integriert. Dieses nach beiden Seiten offene Flex-Modell setzt sich im Idealfall auch bis in die höheren Klassen durch. „In der dritten Klasse kann dieses Modell natürlich nicht zum Stillstand kommen – es muss weitergehen“, hofft Gehrmann. Er weiß aber auch, dass dafür die ganze Schule hinter diesem Projekt stehen muss, damit es erfolgreich umgesetzt wird. Denn Flex fördert nicht nur die Kinder, sondern fordert vor allem flexible Lehrer. Das klassische Modell von „Lehrer sagt, Schüler hört und macht“ habe in Flex-Klassen weitgehend ausgedient. In dem neuen pädagogischen Ansatz versuchen die Lehrer, die Schüler auch in ihrer sozialen Kompetenz, also ihren Umgang miteinander, zu fördern. Das erfordert eine intensive Abstimmung des dreier-Lehrerteams – Klassenlehrer, Teilungslehrer und Sonderpädagoge – untereinander. Sie tauschen sich über die individuellen Lernfortschritte aus, besprechen die einzelnen Schüler-Lernpläne und bereiten Rollenspiele oder Aufgaben vor, die von den Flex-Klässlern häufig zu zweit oder in kleinen Gruppen gelöst werden. Zudem finden regelmäßig „Werkstätten“ statt, in denen die Kinder verschiedene Aufgaben zu einem Thema zu bewältigen haben. „Den Herbst kann man schließlich malen, besingen, dazu Gedichte schreiben und auch die heruntergefallenen Blätter zählen“,. erklärt Flex-Lehrerin Hannelore Kroschwitz von der Grundschule Fichtenwalde. Wichtig sei nicht der Name des Unterrichtsfaches, sondern was die Kinder erlernen, ergänzt Gehrmann. Flex-Modell schneidet sehr gut ab Seitdem in Brandenburg der erste Flex-Versuch 1999 in den Grundschulen Forst und Spremberg anlief, ist Gehrmann an Flex interessiert. Vor zwei Jahren wurde das Projekt auf 20 Grundschulen ausgedehnt – seit diesem Sommer sind es 76. „Zusammen mit meinen Kolleginnen sind wir dorthin gefahren, wo Flex schon lief, um uns ständig zu informieren“, so Gehrmann. Schließlich sei Flex nicht nur ein Zusammenwürfeln von zwei Schuljahrgängen, sondern ein neuer pädagogischer Ansatz. Doch die 12 Lehrer-Mehrstunden für diese Unterrichtsmethode und die kleinere Klassenstärke von 22 Schülern macht Flex auch kostenintensiver als den Regelunterricht. Folgerichtig hängt die landesweite Einführung von Flex vor allem von den Haushaltsmitteln ab, erklärt Thomas Hainz, Pressesprecher des brandenburgischen Bildungsministeriums. „Wir sind dabei, den Bericht der Bildungskommission Berlin-Brandenburg auszuwerten, und Flex ist dabei sehr gut weggekommen“, so Hainz. Politisches Ziel sei es, das Projekt weiter auszudehnen, auch wenn es keinen festen Terminfahrplan dafür gebe. Doch obwohl das Flex-Projekt schon Jahre erforscht und vorangetrieben wird, müssen die Schulen weiter lernen. Das Pädagogische Landesinstitut Brandenburg, dass das Flex-Modell betreut, hat daher für Ende September zu einer Veranstaltung eingeladen, bei der sich Flex-Schulleiter und Lehrer aller beteiligten brandenburgischen Schulen austauschen können. Auch Gehrmann hat sich diesen Termin bereits im Kalender notiert. „Natürlich sind wir nicht perfekt, auch wenn wir uns über ein Jahr im Voraus auf diese Umstellung vorbereitet haben“, erzählt der Fichtenwalder Schulleiter. Er habe mit allen Eltern Einzelgespräche geführt – bei manchen seien Bedenken geblieben, dass ihr Kind nicht gefordert werde, weil es mit Erstklässlern zusammen sei. „Doch bei Flex lernen die Kinder nicht weniger, sondern mehr“, weiß Gehrmann. Wenn eine sehr gute Grundschulausbildung erreicht werden solle, dann komme an Flex bald keine Schule vorbei, ist er überzeugt.

Michael Kaczmarek

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