Potsdam-Mittelmark: „Birkenhof“ wurde versteigert
Fabrikantenvilla, Pflegestätte, Lazarett, Wohnhaus und jetzt Auktionsobjekt
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Stahnsdorf - Die Stahnsdorfer Kleingartenanlage „Am Birkenhof“ am Güterfelder Damm macht sich gut im Ortsbild. Gepflegte Bungalows und vielerlei Neubauten im Umfeld künden vom heutigen pulsierenden Gemeindeleben, der Name erinnert aber auch an einen gewichtigen Abschnitt in der Dorfgeschichte.
Er ist geprägt von dem benachbarten Altbau mit der Hausnummer 58, der sich heute hinter stattlichen Bäumen beinahe versteckt. Nach dem zweiten Weltkrieg stand das dreietagige Haus mit den sechs Wohnungen unter der Obhut der Kommunalen Wohnungsverwaltung, die es vor zwei Jahren einer hiesigen Liegenschaftsgesellschaft zur Verwaltung übertrug. Rückübertragungsansprüche gibt es nicht, aber die Eigentumsverhältnisse hingen weiter in der Luft. Zu deren Klärung und zur Aufhebung der Gemeinschaft war deshalb nun eine Zwangsversteigerung beim Amtsgericht Potsdam angesetzt. Es kam auch zu einem Ergebnis: Eine seit langem hier wohnende Familie erwarb das Gebäude mit einer Grünlandfläche.
Ende der 1890er Jahre, als Stahnsdorf noch ein reines Bauerndorf war, ließ der Berliner Schuhfabrikant Matting von Zimmerermeister Kuhlmey aus Gütergotz dort die stattliche Villa errichten, die sich aber bald zu einer Gemeinschaftseinrichtung wandelte. Das war 1905. Sie wurde auf Betreiben von Max Laehr zu einer Zweigstelle des Vereins „Heimstätte für Nervenkranke Haus Schönow“. Als Geldspender geholfen haben dabei solche Persönlichkeiten wie der Verleger Rudolf Mosse, Julius Springer und Fräulein von Bodelschwing. Der „Birkenhof“ sollte und wollte jenen helfen, die mit ihren Lebensproblemen nicht mehr fertig wurden. Das sollte vor allem durch sinnvolle Beschäftigung erfolgen, durch Arbeit im großen Gemüsegarten, in den Kleintierställen und in der Küche. Dass es gelang, schilderte die Leiterin der Betreuungsstätte in ihrem Arbeitsbericht für das Jahr 1909: „Herr Kühne, der früher als Patient, dann 1 ¼ Jahr als angestellter Gärtner treu und fleißig tätig war, verließ uns am Jahresende, um wieder einer kaufmännischen Tätigkeit nach zu gehen.“ Die Produkte vom Birkenhof fanden guten Absatz: Obst, Gemüse, Eier, Eingemachtes. Die amerikanische Kolonie in Berlin lobte besonders die Tomaten und die Maiskulturen und schickte aus New York sogar Samen.
Die meisten Patienten blieben ein bis drei Monate, im ganzen Jahr waren es 113 Pfleglinge: Männer und Frauen aus allen Berufsgruppen: Beamte, Lehrer, Hausdiener, Kammerjungfer, Schriftsetzer, Schüler, Studenten, die vom Haus Schönow, direkt von der Berufsarbeit oder von Hause kamen. 1010 wurde noch ein großes Gewächshaus geplant, aber bald kam eine neue Zweckbestimmung: Im ersten Weltkrieg wurde der „Birkenhof“ zum Lazarett. Danach war das Haus vornehmlich Wohnstätte, die 1938 auf andere Weise vom Lauf der Geschichte erfasst wurde. Die jüdische Familie, die zu den Miteigentümern gehörte, floh vor dem NS-Regime aus Deutschland, konnte aber ihren Anteil vorher noch verkaufen.
Nach der erfolgreichen Auktion besteht nun Hoffnung, dass der vom Zahn der Zeit so stark geplagte „Birkenhof“ wieder ein schönes Gesicht bekommt. Georg Jopke
Georg Jopke
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