Potsdam-Mittelmark: „Bitte sanft berühren“
Denk-, Schau- und Hörräume von Art-Event in Teltow
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Teltow - Wo in Teltow Oder- und Katzbachstraße aufeinandertreffen, haben seit dem Wochenende zehn bildende und angewandte Künstler von Art-Event ihr zeitliches Quartier eingerichtet; kostenlos, wie zu bemerken ist. Sie stammen alle „aus der Region“ rund um diesen Industriestandort, alle hatten ein gemeinsames Anliegen, nämlich „Denk-, Schau- und Hörräume“ dort zu erschaffen, wo eine schnöde Baracke neben anderem Urbau von bewegteren Zeiten kündet. Jetzt ist auf diesem Gelände nix weiter los, gut für die Gruppe, gut für den Gast.
Von Buchenlaub flankiert, betritt man einen genauso schnöden Flur, wo sich Tür an Tür reiht. Hinter einer jeden verbirgt sich ein wunderliches Reich, Freiräume für Phantasie, Orte von Selbstdarstellung oder Selbstverwirklichung, stets jedoch ein sehr persönlicher Ort. Spannend, hier in Ruhe zu wandeln, es könnte ja sein, dass man sich irgendwo selber antrifft. Über der Tür des ersten (Beate Lein-Kunz, Petra Walter-Moll) steht „einzeln und leise eintreten“, denn hier sind die labyrinthischen Wände aus Packpapier, Gucklöcher lassen den Blick zum Fenster frei. Vorn stehen zwei Objekte verschiedener Farben und unterschiedlichen Materials, zu ihnen („bitte sanft berühren“) soll man sich durchschlängeln. So will man dem schnellen Urteil entgegenwirken, zumal hier „Wirklichkeit“ gleichsam nur langsam und stückweis wahrnehmbar wird.
Blaue Fußspuren verweisen im zweiten Raum auf früher gelebtes Leben in ihm. Hier geht es um den Moment des Erwachens, „wenn man ins Bewusstsein zurücktritt“, so Jessi Kobek. Eine kleine Wandzeitung auf dem Flur zeigt, wie sehr sich die Gruppe beim Arbeiten „in Klausur“ zusammengerauft hat, denn was in zehn Teile geteilt scheint, ist als Gesamtkunstwerk zu verstehen. Auf halber Höhe einer für alle, hier hat jeder in Fächern abgelegt, was ihm lieb oder unnütz ist, gute Idee.
Einziger Herr unter neun beherzten Damen ist der Bildhauer Michael M. Heyers, der in einer „Doppelkoje“ von der Herstellung seiner schönen Skulptur „dreimalrot“ erzählt. Das großformatige Bild gegenüber zitiert in absteigender, verblassender Reihe (Frauke Schmidt-Theilig) die Gegenwart toter Maler, Ort und Zeit in seltsamer Eintracht. Anke Mühlig will in ihren Raum der Stille „Textilien sprechen lassen“, eine fast surreale Gardinenlandschaft mit eingeprägten Worten. Bilder von Angelika Watteroth, Anke Fountis ließ sich vom Foto der letzten Tasmanierin inspirieren: in ihrem neongrün beleuchteten Raum steht eine Gruppe dunkelhäutiger „Antipoden“ mit Speeren bewaffnet, furchterregende Wächter.
Und weiter geht“s. Dort, wo es nach Lösungsmittel riecht, sind Vorzeit und Gegenwart der Schreibkunst zuhause, Helma Hörath zeigt Kindern, wie man einst mit Gänsefedern übte, nebenan können sie mit Marmorierfarbe selber Bilder erzeugen. Ungeweihte Runenstäbe („Ausprobieren“) verweisen auf Wurzeln. Der letzte hatte keine Bezeichnung, doch ab sofort heißt er „Raum ohne Namen“: Vollendetes und Unvollendetes der Seniorin Emma Maria Lange, afrikanische Mütter in Ton gebrannt, verweist auf die Flüchtlingsproblematik.
Art-Event als Dachverband regionaler Künstler ist zwar aufgelöst, aber auch so zeigen sie, was sie können. Es ist viel, es ist gut, es ist spannend. Diese „Räume“ sprechen Kopf und Sinne gleichermaßen an, sie summieren sich wie von allein, und wenn man „fertig“ ist, kann man von vorne beginnen, oder die Reihenfolge verändern, man sieht ja stets etwas Neues.
Geöffnet am 11. und am 14. Juli, 16 bis 19 Uhr, Oderstraße 34 bis 36, gelbes Quergebäude, Künstler sind anwesend
Gerold Paul
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