
© T. Reichelt
Potsdam-Mittelmark: Boogie und Samba die ganze Nacht
Den Rhythmus im Blut: Auf einer Ü-70-Party tanzten Kleinmachnower Rentner
Stand:
Kleinmachnow - Wenn sich bloß die Männer nicht so hätten, zischelt Ingeborg May. „Wir brauchen Eintänzer“, sagt die 78-Jährige und verschränkt die Arme enttäuscht vor der Brust. Samba, Rumba, Cha-Cha-Cha, natürlich auch Rock ’n’ Roll und ein langsamer Walzer. Das wäre alles kein Problem für sie. „Aber die Ehegatten gehen ja nicht von ihren Frauen weg“, sagt May. Dabei hat sie extra das Kleid mit den roten Rosen angezogen und auch einen passenden Lippenstift aufgelegt. Fast so wie früher.
Niemand ist zu alt, um eine flotte Sohle aufs Parkett zu legen: Im Kleinmachnower Augustinum haben am Donnerstagabend rund 30 Senioren aus dem Wohnstift und der Nachbarschaft das Tanzbein geschwungen. Das Haus im Erlenweg hatte erstmals all diejenigen zu einer Ü-70-Party eingeladen, die den Rock ’n’ Roll und den Boogie Woogie im Blut haben, weil Rock’n’Roll und Boogie Woogie ihre Zeit war. Für viele der Damen und Herren, die kamen, war es der erste Tanzabend nach einer oft jahrelangen Pause. Er ging bis spät in die Nacht.
Auch für Dieter Ganguin. Sogar die Schuhe mit den Ledersohlen habe ihm seine Margott schon vor Tagen bereitgestellt, sagt der 78-Jährige und zieht seine schwarz glänzenden Treter unter dem Tisch hervor. In dem Alter noch mal tanzen? Na klar, ruft Margott Ganguin ihrem Mann von der Seite zu und stubst ihn kurz mit dem Ellenbogen an. „Die ganze Woche freue ich mich schon auf diesen Tanzabend“, sagt die 83-Jährige. Ein flottes gelbes Kleid hat sie sich übergeworfen und sie strahlt über das ganze Gesicht, als die ersten musikalischen Takte aus den Lautsprechern in den Saal wabern. Ein paar Augenblicke später drehen sich die Ganguins auf dem Parkett.
Disk-Jockey Freddi Maltzahn weiß schon, wie er seine Kundschaft lockt. „Musik ist wie eine Droge“, sagt der 66-jährige Berliner, der den Kleinmachnower Rentnern einheizte. Schon sein halbes Leben steht Maltzhan hinter den Plattentellern, auf denen sich tatsächlich auch noch alte Vinyl-Scheiben drehen. „Das Gedudel vom Computer spiele ich schließlich nicht.“ Das klinge nicht wie früher, selbst wenn es die alten Hits seien. Fast 700 Platten hat er dabei: „Mandolinen und Mondschein“, „Ganz Paris träumt von der Liebe“, die Liste ist lang. „Man darf die alten Leute auch nicht zu alt einschätzen“, sagt Maltzahn. Viele seien mit Elvis und Buddy Holly aufgewachsen. „Nicht jeder kann noch Rock ’n’ Roll tanzen, aber sie hören es gerne.“
Wieder die Lieder aus der Jugend zu hören sei eine emotionale Sache. Das sagt nicht nur Dj Fredi, sondern auch Günter Steinberg und seine Waltraud. „Man geht innerlich mit und all die Erinnerungen kommen zurück“, schwärmt der 81-Jährige an diesem Abend. Natürlich haben sie früher getanzt. Auf einer Betriebsfeier hätten sie sich so kennengelernt. Am besten waren die „Schmusetänze“, sagt Steinberg und zwinkert seiner Frau kurz zu.
Nach nahezu durchtanzter Nacht ist Dagmar Kremer, stellvertretende Stiftsdirektorin des Augustinum, zufrieden. „Bis Schlag 23 Uhr hatten wir volles Haus.“ Selbst den Ältesten hätte es mit über 90 Jahren am Ende nicht mehr auf dem Sitz gehalten. Und auch Ingeborg May sei noch über die Tanzfläche gehuscht. Eben fast so wie früher. Tobias Reichelt
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: