zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Botanico macht weiter

Wie der in die Caputher Geldfälscheraffäre verwickelte Jens Heinrich seinen Pflanzenverleih retten will

Stand:

Schwielowsee - Ein winziger Raum, mit Schlafstelle, einem Schreibtisch, auf dem ein Computerbildschirm quer liegt Hier hatten der Weißrusse Vladislav L. und seine Hintermänner den großen Coup geplant. Über den Flur ein ähnlich ausgestattetes Zimmerchen für den Deutsch-Iraner Hasan Y.. An der Rückwand eine gut gesicherte, von einem schweren Vorhang verhüllte Tür. Sie führt in einen kleinen Saal mit nacktem Betonfußboden. Vor einigen Monaten war er noch mit Erde bedeckt, aus der Cannabispflanzen wuchsen. Im Hintergrund der Eingang zum Allerheiligsten. Auch hier verstaubte Bildschirme und Drucker. Die Festplatten hat die Polizei mitgenommen. Viel ist nicht geblieben von der Werkstatt, von der aus eine Geldfälscherbande en masse 50-Euro-Blüten auf den Weg bringen wollte.

Auch die Gewächshäuser bieten ein trostloses Bild. Vor zwei Wintern standen hier noch an die 400 Palmen, Lorbeeren, Zitrusgewächse, Rhododendron, Oliven, Oleander, Buchsbaumkegel Sie waren das Herzstück des Pflanzenverleihs „Botanico“, der Gaststätten, Gartenmessen, Filmproduktionen aber auch Veranstaltungen durch die Kübelgewächse ein südländisches Flair verlieh. Doch dann saß der Inhaber, Jens Heinrich, in Untersuchungshaft. Er habe das Angebot, eine Baracke unterzuvermieten, nicht lange hinterfragt. Für den Kleinunternehmer waren die 170 Euro monatlich ein willkommenes Zubrot, um den Pflanzenverleih finanziell über den Winter zu bringen. Als wenig später die Fälscherbande aufflog, wanderte Heinrich mit in den Bau.

Man prognostizierte ihm fünf bis fünfzehn Jahre Haft. Botanico war angeblich eine „Scheinfirma“ und ihr Inhaber im kriminellen Milieu verhaftet. Eine Zeitung nannte ihn den „Paten von Potsdam“. Der Eigentümer kündigte den Pachtvertrag für das Caputher Firmengelände, der Vermieter seiner Geltower Wohnung zog nach. Doch Heinrich nahm diese Nackenschläge nicht einfach hin. Den Vermieter bat er erfolgreich, ihm nicht auch noch seine Bleibe zu nehmen. Dies übrigens in einem wohlgesetzten Brief, und das erscheint schon erstaunlich, denn dem gelernten Dachdecker hatte eine Lese-Rechtschreib-Schwäche den Weg zu besserer Schulbildung verwehrt. In der Zelle, wo es anfangs nicht einmal einen Fernseher gab, las er jedoch fleißig und verbesserte mit Hilfe eines Mithäftlings seine Orthografie. Die Firma ließ er durch einen Angestellten weiterführen, der allerdings keinen grünen Daumen besaß.

Auch seinen 35. Geburtstag, „die Mitte des Lebens“, hat Jens Heinrich im Gefängnis verbracht. In der Einsamkeit seiner Einzelzelle nahm er sich vor, nicht dem Beispiel anderer Häftlinge zu folgen, die sich aufgegeben hatten oder vom „großen Coup“ träumten. Er begann um „Botanico“ und damit seine Existenzgrundlage zu kämpfen – wie es jetzt aussieht, mit Erfolg. „Am wichtigsten dafür ist, den Hebel umzuschalten und die Vergangenheit hinter sich zu lassen“, meint er. Das hat er auch Mithäftlingen empfohlen. Manche nannten ihn deshalb den „Seelsorger“.

Die Vernehmungen und später die Verhandlung machten klar, dass Heinrich kein Gangster, sondern „als kleiner Fisch übermütig ins Haifischbecken gesprungen“ war. Dieses einprägsame Bild fand der Staatsanwalt. Vom schwer wiegenden Anfangsverdacht blieb nicht allzu viel übrig. Erde für das Cannabisbeet hatte er der Bande verkauft, das gab er zu. Einer der Geldfälscher versuchte ihm eins überzuhelfen, indem er ihn des Fahrens ohne Führerschein bezichtigte, denn den hatte Heinrich wegen „exzessiven Fahrstils“,so nennt er das, verloren. Im Gerichtssaal verblüffte der Angeklagte durch Charme und ungewöhnliche Einfälle. Dem Publikum schenkte er Lorbeerblätter für den weihnachtlichen Gänsebraten und empfahl den Reportern die Schlagzeile „Von der Blüte zur ,Blüte““.

Sein Anwalt plädierte auf eine Bewährungsstrafe, und das Gericht folgte dem Antrag. Durch die elfmonatige Untersuchungshaft fühlte sich Jens Heinrich gestraft genug. „Was für ein Gefühl, nach so langer Zeit endlich wieder den Regen im Gesicht zu spüren“, erinnert er sich. „Wie ein Schwamm habe ich ihn aufgesogen.“ Zeit für Naturschwärmereien blieb ihm aber nicht. Beim Versuch, seinen Pflanzenverleih zu retten und so von eigener Hände Arbeit zu leben, türmten sich bergeweise Schwierigkeiten auf. Das gekündigte Gelände in Caputh, das er nun noch beräumen muss, war verwüstet, die Scheiben der Gewächshäuser eingeschlagen, der Boden voller Scherben, 70 Kübelpflanzen eingegangen, nahezu alles Brauchbare wie Kettensäge und Schweißbrenner, sogar sein Sportboot entwendet. Die beschlagnahmten Geschäftsunterlagen und den Laptop, den er dringend braucht, hat er bisher nicht zurückbekommen. „Selbst Kleidung musste ich mir von meinen Freunden schenken lassen“, grollt er.

Freunde – sie haben einen wesentlichen Anteil, wenn Jens Heinrich „Botanico“ retten kann. Sie helfen und fassen mit an, ohne groß nach Geld zu fragen. Mit den Pflanzen konnte er in eine Lagerhalle nach Ferch umziehen, wo er schon vor seiner Verhaftung einige Großpalmen untergebracht hatte. „Ja, du bekommst mehr Platz, wenn du lieb und artig bist“, frozzelten Vermieter und Hauptmieter und berechneten ihm eine moderate Miete. Ein Bekannter, übrigens ein Jurist, stieg mit 2000 Euro bei „Botanico“ als stiller Teilhaber ein.

Zudem setzt Heinrich seinen Charme und seine Findigkeit ein, um neue Kunden zu gewinnen. Am Hackeschen Markt in Berlin fand er einen Großgastronomen, der seine Gaststätte mit den Leihpflanzen schmücken lässt. Auch für ein Restaurant in Leipzig möchte er Heinrichs Dienste in Anspruch nehmen. Durch günstige Ankäufe aus dem aufgelösten Stadtgarten in Berlin-Mariendorf brachte er seine Leihpflanzenzahl nun sogar auf 500.

Im Winter hilft er sich mit Grundstücksberäumungen, Baumfällungen und ähnlichem finanziell über den Berg. Gern möchte Jens Heinrich mit Botanico in die „Gelben Seiten“, doch dafür fehlt bisher das Geld. Da es in der Lagerhalle in Ferch keinen Brauchwasseranschluss gibt, erwarb er billig ausrangierte Plastiktanks und holt darin das Nass aus der Havel. Inzwischen hat er einen „Idiotentest“ absolviert und darf wieder auf einen Führerschein hoffen. Die Zeit, in der er abends durch die Diskos zog, ist vorbei. Alkohol trinkt er nur noch, wenn eine Feier dazu Anlass bietet. Seiner Freundin und auch der Hündin Mia ist er dankbar dafür, wie sie ihm beim Neustart in ein geordnetes Leben Halt geben.

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })