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KulTOUR: Canta Amigo – Singe Amigo: Verse aus weichem Grün und flammendem Rot

Musikalisch mitreißend und politisch engagiert begeisterte die Kleinmachnower Gesangsgruppe „Cantaré“ das Publikum mit lateinamerikanischer Musik

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KulTOURMusikalisch mitreißend und politisch engagiert begeisterte die Kleinmachnower Gesangsgruppe „Cantaré“ das Publikum mit lateinamerikanischer Musik Kleinmachnow - Einen Liederabend jenseits der gängigen Lateinamerika-Klischees hatte die Kleinmachnower Gruppe „Cantaré“ (zu deutsch: Ich werde singen) ihrem Publikum für den Samstagabend versprochen. Worin diese Klischees denn im einzelnen bestehen, blieb dabei zwar im Dunkeln. Aber das Konzert im Rathaus Kleinmachnow transportierte das lateinamerikanische Lebensgefühl von Armut und Stolz, Verzweiflung und Zuversicht auf mitreißende Weise. Dank farbiger Bühnenbeleuchtung und eines feurigen Instrumentalintros verwandelte sich die sterile Atmosphäre des modernen Rathaussaales binnen weniger Augenblicke in einen Ort lateinamerikanischer Lebensfreude. Vier in weinrote Ponchos gehüllte Amigos nahmen den Raum mit Panflöten, Trommeln, Gitarren und vollen, klaren Stimmen ein. Dass Freud und Leid in den Ländern Mittel- und Südamerikas oft untrennbar miteinander verbunden sind, reflektierten die Musiker nicht nur durch den Wechsel von flotten folkloristischen Rhythmen und ruhigen, melancholischen Stücken. „Es ist typisch für Lateinamerika, dass selbst traurige Lieder fröhliche Rhythmen und Melodien haben, die die Traurigkeit sozusagen bezwingen sollen“, erzählte Matthias Nitsche den Zuhörern. Als Kopf der Gruppe „Cantaré“ führte er durch den Abend, erzählte etwas zu den geschichtlichen Hintergründen der Lieder und übersetzte die überwiegend spanischen Texte. Besonders bewegt war das Publikum von der wahren Geschichte der „Erminda de la Victoria“, einer Armensiedlung in Chile. 1973 galt in vielen Ländern Lateinamerikas noch ein ungeschriebenes Gesetz, nach dem Obdachlose, die es schafften, über Nacht eine provisorische Siedlung zu errichten, ohne von der Polizei vertrieben zu werden, das Land am nächsten Morgen behalten durften. In einer solchen Nacht, als die Obdachlosen mit dem Siedlungsbau schon sehr weit waren, wurden sie verraten. Da die Armen nichts zu verlieren hatten, stellten sie sich den Polizisten entgegen. Diese feuerten Warnschüsse ab, zogen aber unverrichteter Dinge wieder ab. Die Freude der Menschen kannte keine Grenzen – bis eine junge Mutter entdeckte, dass ihr Baby Erminda von einer Kugel getötet worden war. Zum Gedenken benannten die Menschen ihre Siedlung nach dem kleinen Mädchen. Bis heute heißt sie: Erminda des Sieges. Dieses Gefühl, sich nicht unterkriegen zu lassen, ist ein immer wiederkehrenden Liedmotiv. So besingt ein armer mexikanischer Schlucker seine tragisch-komische Lenbenssituation: Er schuftet den ganzen Tag auf einer Zuckerrohplantage und hat abends keinen Zucker für den eigenen Kaffee. Bevor die Stimung zu gedrückt wurde, wechselte „Cantaré“ das Genre und brachte das Publikum auf andere Gedanken, indem es muntere Tänze sowie Scherzlieder spielte und dazu in fliegendem Wechsel an die 30 verschiedene, ausgefallene Instrumente verwendete: Dazu gehören zum Beispiel die kleine Charango-Gitarre aus einem Gürteltierpanzer und die zweireihige Zampona-Panflöte der Inkas. Besonders schön und geheimnisvoll klingt der „Stab des Regens“, in dessen Innerem sich Kaktusstacheln befinden, an denen kleine Steinchen entlang rieseln. „Cantaré“ verwendet ihn, zusammen mit Flöten, verschiedenen Rasseln und Klappern, um den brasilianischen Regenwald akkustisch lebendig werden zu lassen. Wenn man die Augen schließt, klingt das rhythmische Bestreichen des geriffelten Holzstücks wie Froschquaken. Dann plötzlich setzt Trommelwirbel ein und schwillt an. Das geriffelte Holzstück klingt nun durchdringend wie eine Kreissäge. Etwa eine Minute dauert der Lärm an, dann ebbt er plötzlich ab und es wird beängstigend still im Rathaussaal. „So klingt ein toter Wald. Bisher ist in Brasilien mehr Regenwald vernichtet worden, als das Land Belgien an Fläche hat. Und täglich wird es mehr. Wir wollen mit unserer Musik ein Statement setzen gegen den Raubbau an der Natur“, sagt Matthias Nitsche dem von der klanglichen Illusion beeindruckten Zuhörern. Zum Schluss des mehr als zweistündigen Konzertes spielte „Cantaré“ das wohl bekannteste Lied aus Lateinamerika: Guantanamera. Nitsche selbst hat sich den Text von Chilenen übersetzen lassen: „Es wäre doch schade, das Lied seit Jahrzehnten zu kennen, ohne zu wissen, worum es geht.“ „Bevor ich sterbe, will ich meine Seele in Verse hüllen. Sie sind aus weichem Grün und aus flammendem Rot – sie sind wie ein verwundeter Hirsch, der in den Bergen Schutz sucht. Guantanamera.“

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