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KulTOUR: Caputher Experimente

Berliner Akkordeon-Quartett bei Caputher Musiken mit Bach und Piazolla

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Schwielowsee - Ein solches Konzert als Beitrag zur Passion Christi zu wagen, war wohl für jeden ein Herausforderung: für die „Caputher Musiken“, für die evangelische Kirchengemeinde, für die Besucher der bewährten Musikreihe sowieso. Aber hieß das Jahresmotto des Veranstalters nicht ausdrücklich „Kontraste“, und hatte das „Berliner Akkordeon-Quartett“ (BAQ) nicht extra für dieses Samstags-Konzert ein Programm zusammengestellt, damit der alte Klassiker Bach mit dem neuen Tango-Klassiker Piazzolla in mehr oder weniger Freiheit „kommunizieren“ kann? Das Publikum jedenfalls schien solch ein Spiel eher anzuziehen, supervoll war es zur Vesperzeit im neuen Gemeindezentrum nahe der Kirche, wo das Kreuz Christi in eine Hausecke hineinkomponiert worden ist.

Und tatsächlich, das eigens für Caputh zusammengestellte Passionskonzert mit dem mehrdeutigen Titel „Leid und Leidenschaft“ (beides meint Passion) wurde zu einem der intensivsten vor Ort, und seit je. Das Ensemble mit den „Hanns-Eisler“-Absolventinnen Franziska Klimpel, Kirsten Mögelin, Silke Lange und Anja Dolak setzt sich seit der Gründung 2004 dafür ein, unterschiedliche Musikrichtungen auf dem Akkordeon zu interpretieren, warum nicht Johann Sebastian Bach?

Astor Pantaleon Piazolla (1921-1992) liebte ihn, lernte viel von ihm, auch beim Komponieren. Für den begnadeten Bandoneonspieler und Komponisten war ja schlichtweg alles Tango, Leben und Sterben, Musik, auch die Theologie: In seiner Oper „Maria de Buenos Aires“ von 1969 lässt er – das Agnus Dei zum Tangus Dei umformend – sogar ein Straßenmädchen auferstehen, und zwar in Gestalt des Tango! Absichtsvoll also stellte das BAQ nicht Bach in die Mitte des Programms, sondern Piazzollas vierteilige Engel-Komposition, welcher sich spiegelbildlich und alternierend Instrumental- und Choralwerke beider Komponisten zuordneten.

Nach langer Vorrede und einem wie trockener Wind daherkommenden „Air“ erzählte „Preludio & Fuga 9“ vom passionsartigem Lebensgefühl in Argentina. Der erste Teil wollte einen schier an die Wand nageln, so viel Kraft war darinnen! Bachs Chorus „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ aus der gleichnamigen Kantate (BWV 12) klang fast lieblich dagegen. Dann jener Vierteiler inmitten, dessen Titelgestalt Engel, Maria oder Jedermann sein könnte: Auf leisen Füßen kommt er, tanzt, stirbt und aufersteht, wie man halt so aufersteht beim Tango, wunderbar. Wer hier aber „Tango“ sagt und Piazzolla meint, der redet natürlich von seinem „Tango Nuevo“, das Beste seit Erfindung der Fuge, Gegenwart pur – wenn auch von Gestern.

Nach dem kurzen Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ (BWV 244) dann der Versuch, ein Präludium nebst Fuge von Bach auf vier Akkordeons darzustellen. Das glückte weitgehend, doch wird zu prüfen sein, wie man ein derart komplexes Werk arrangiert, damit sich die Stimmen im Forte nicht gegenseitig erdrücken. Ein kurzer Coral des Argentiniers mit herrlich dissonanten Läufen und allem, was ein „Tango Nuevo“ so zu bieten hat, beendete dieses erstklassige Konzert.

Starker Beifall bezeugte Zustimmung zum Caputher Experiment „Kontraste“. Mancher Besucher wird gar voller Erstaunen bemerkt haben, dass es jenseits der hierzulande so tränenreichen Passions-Variante noch andere Möglichkeiten gibt, des Weges Christi zu gedenken, bis zur Auferstehung, nicht bis zum Kreuz!

Nächstes Konzert der Caputher Musiken am 8.5., 17 Uhr, Kirche Caputh: Jugend musiziert, Preisträger der Vorausscheide

Gerold Paul

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