zum Hauptinhalt
Wie in einer Familie. Doris Grunow bereitet das Mittagessen für die Hausgemeinschaft vor: Bewohner helfen ihr beim Schneiden von Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln.

© Manfred Thomas

Potsdam-Mittelmark: Chefin einer Großfamilie

Von der Pflegehelferin zur Alltagsbegleiterin: Doris Grunow und ihre Hausgemeinschaft

Von Eva Schmid

Stand:

Teltow - Es ist eine Art Großfamilie, in der einer für die anderen anpackt: Doris Grunow kocht, putzt, spült, pflegt und betreut die zwölf älteren Menschen, die im Teltower Evangelischen Seniorenzentrum „Bethesda“ als Hausgemeinschaft zusammenleben. Doris Grunow ist ihre Alltagsbegleiterin – so nennt sich jetzt ihr neues Aufgabenfeld. Früher war sie Pflegehelferin.

„Es hat sich seither viel verändert – es ist familiärer geworden, ich muss weniger Leute betreuen, mich dafür aber um den Haushalt kümmern“, erklärt die 57-jährige Frau, die seit 23 Jahren in der Einrichtung arbeitet. In einer geräumigen Wohnung hat jeder der Bewohner sein eigenes 23 Quadratmeter großes Zimmer. Tagsüber sitzen fast alle in der großen Wohnküche, rund um den freistehenden Herd. Jeweils drei Alltagsbegleiter kümmern sich 24 Stunden um eine der insgesamt acht stationären Hausgemeinschaften im Teltower Seniorenzentrum.

Der Alltag der Begleiter ist dicht getaktet: Doris Grunow eilt morgens von einem Zimmer zum nächsten. Die meisten brauchen Hilfe beim Anziehen. Und die Männer bekommen von ihr fast täglich eine Nassrasur. Sie schüttelt die Betten aus, oftmals muss auch das Bettzeug ausgewechselt werden. Auf ein ordentliches Zimmer legt sie besonderen Wert: „Ich schaue dann, dass eine frische Tischdecke aufliegt und es sauber ist.“

Frisch gewaschen und munter treffen sich die Bewohner im großen Wohn- und Küchenbereich. Fast alle können ohne fremde Hilfe frühstücken. Nur einem älteren Mann muss sie das Essen reichen. Sie bringt Brillen, streichelt kurz über die Schulter der Bewohner und huscht zwischen den Stühlen in Richtung Küche. Ein kurzer Blick auf die Uhr. Das Frühstücksgeschirr packt sie flink in die Spülmaschine. Dann geht es los mit den Vorbereitungen für das Mittagessen: Ein älterer Herr hilft ihr beim Schneiden von Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln.

Im Teltower „Bethesda“ werden die Angestellten jetzt zum Alltagsbegleiter in einem Jahr aus- beziehungsweise weitergebildet. „Der Fokus der Ausbildung liegt vor allem im Bereich der Tagesstrukturierung. Die Bewohner sollen wieder dazu animiert werden, den Tag wie zuvor zu Hause zu gestalten", erklärt Christin Gerdun, die Leiterin der Einrichtung. Mit der Eröffnung eines Neubaus auf dem Bethesda-Gelände in der Mahlower Straße im vergangenen Juni wurde auf das neueHausgemeinschaftskonzept (siehe Kasten) umgestellt.

Die Aus- und Weiterbildung ist vom Träger der Einrichtung, dem Landesausschuss für Innere Mission, selbst erstellt worden. In der Alltagsbegleitung würden die Berufe eines Betreuungsassistenten, einer Pflegehilfskraft und einer Hauswirtschaftlerin kombiniert, so Gerdun. Um sich als Alltagsbegleiter ausbilden zu lassen, bedarf es nur geringer Vorkenntnisse. „Ein Pflegebasiskurs ist ausreichend“, erklärt die Bethesda-Leiterin. Für einen solchen muss man sich zwischen 200 und 400 Stunden mit der Pflegepraxis auseinandersetzen.

Um den Alltag in einer Hausgemeinschaft zu meistern, braucht man jedoch Erfahrung: Doris Grunow schaut auf die Uhr. Zwischen Frühstück und Mittagessen muss sie sich beeilen. Immerhin stehen die Toilettengänge aller Bewohner an. Dann muss das Mittagessen vorbereitet werden. „Das ist ein kleiner Marathon hier morgens“, sagt sie mit einem Lachen. Seit wenigen Monaten hilft ihr eine Küchenkraft. Auch eine Köchin wurde jetzt zusätzlich eingestellt und bekocht die acht Hausgemeinschaften. Zuvor sei mit dem Kochen der Zeitplan so straff gewesen, dass keine Zwischenfälle passieren durften, erzählt Doris Grunow. Für den Job müsse man zudem gut organisiert sein.

Kritisch bewertet die Pflegewissenschaftlerin Katja Boguth das neue Ausbildungsangebot: „In Deutschland herrscht ein Wildwuchs an Aus- und Weiterbildungen im Pflegebereich.“ Es werde dringend eine Pflegekammer benötigt, die ein modularisiertes und durchlässiges Ausbildungssystem schaffe. „Sonst kommt man als Alltagsbegleiter bei anderen Einrichtungen möglicherweise nicht weiter, weil sie das so nicht haben.“

Alltagsbegleiter sei bisher noch keine geschützte Berufsbezeichnung. Auch dass die Ausbildung so viele unterschiedliche Aufgaben vereine, sei nicht optimal, so die Professorin der Berliner Akkon-Hochschule für Humanwissenschaft. „Wir brauchen einen Personalmix in den Einrichtungen – wenn jeder alles macht, kann das nicht zu einer guten Pflegequalität führen.“ Sie befürchtet, dass aufgrund des Pflegenotstandes immer mehr geringer Qualifizierte in den Pflegebereich kommen.

Bei Doris Grunow ist jeder Handgriff hingegen routiniert. Die Umstellung zur Alltagsbegleiterin hat für sie Vorteile: „Es ist jetzt viel ruhiger geworden." Während sie früher die Bewohner nur pflegte und ab und an auch beim Essen half, kümmert sie sich jetzt umfassend um jeden Einzelnen. „Wir lesen zusammen Zeitung, kochen Pudding, unterhalten uns länger als früher.“

So sei sie zur festen Bezugsperson für die Bewohner geworden: „Ich merke durch den engen Kontakt gleich, wenn etwas anders ist und hole dann die Pflegefachkraft dazu.“ Das Fachpersonal – Schwestern und Ärzte – kümmert sich nach wie vor um den gesamten medizinischen Bereich. Für das „Familiäre“ ist der Alltagsbegleiter zuständig: Wenn jemand gerne ausschläft, wird er nicht geweckt, wer abends eine Suppe mag, dem kocht Doris Grunow eine, und wer ihr aus seinem Leben erzählt, dem hört die Alltagsbegleiterin aufmerksam zu – auch wenn nebenher das Gemüse geputzt wird und die Spülmaschine vor sich hin brummt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })