Potsdam-Mittelmark: Chorgesang „plärrend und disharmonisch“
Carmen Hohlfeld recherchierte zur Geschichte des Caputher Schulwesens
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Schwielowsee – Interessante Schulgeschichten sind am morgigen Samstag um 17 Uhr im Mehrzweckraum der Caputher Grundschule „Albert Einstein“ zu hören. Carmen Hohlfeld wird aus ihrem Buch „Geschichte der Schule im Königlichen Amtsdorf Caputh“ vorlesen. Weil die Schule in diesem Jahr den 60. Jahrestag ihrer Namensgebung begeht, wird gleichzeitig der französische Einstein-Kenner Guy Prouveur über Einsteins Reise nach Paris im Jahre 1922 berichten.
Über 100 Kinder drängten sich noch Anfang des 19. Jahrhunderts im Klassenraum der „Caputher Pantinenschule“, um Lesen und Schreiben zu lernen. Einen Tisch oder gar einen Stuhl für den Lehrer gab es nicht, weil dafür kein Platz war. Selbst der königliche Schulrevisor, der diese Zustände protokollierte, fand erst nach geraumer Zeit einen Fleck, um sich setzen zu können. Seine Niederschrift fand Ortschronistin Carmen Hohlfeld im Landesarchiv Potsdam. Sie recherchierte drei Jahre lang die Schulgeschichte des Königlichen Amtsdorfes Caputh und schrieb ein Buch, das weit über eine Schulchronik hinausreicht und auch den Bau von insgesamt sechs Schulhäusern im Ort dokumentiert. Darunter auch das 1909 errichtete Backsteingebäude in der Friedrich-Ebert-Straße, das in diesem Jahr seinen 100.Geburtstag feiert.
Die Archivakten offenbarten zudem soziale Details aus dem Dorfleben. So klagte Pfarrer Lange 1860: „Der Ernst für das Schulwesen ist Eltern und Kindern abhanden gekommen unter der gegenwärtigen Schuleinrichtung.“ Das lag nicht nur am Zustand des Schulhauses mit seinen wurmzerfressenen Balken und splitterreichen Bänken, den eine Visite vier Jahre zuvor als lebensgefährlich angeprangert hatte. In vielen Familien wurde jede Hand gebraucht, um zu überleben, und so fehlten in der Schule öfters Kinder aus armen Familien. Besonders an Markttagen, wenn die Mütter nach Potsdam gingen. Denn dann mussten die Kinder das Vieh versorgen und die kleineren Geschwister beaufsichtigen. Auch an den sogenannten Holztagen fehlten Schüler, weil sie im Wald Holz sammelten, andere mussten bei der Feldarbeit mit anpacken. Das führte dazu, dass einige von ihnen nur mühsam die Texte im Lesebuch entziffern konnten, ebenso im Rechnen ungenügende Leistungen zeigten.
Besonders kritisch bewertete ein Revisor jedoch den Chorgesang als „plärrend und disharmonisch“. Doch der fehlende Wohlklang wurde nicht den Schülern, sondern ebenso wie ihre unzureichenden Leistungen, den Lehrern angelastet. Sie waren Schuld am unbefriedigenden Zustand wie ein Inspektor nach einer Visite im Jahre 1901 anmerkte: „Der Lehrer Göring ist nicht im Stande in Caputh Ordnung zu halten. Hier kommt es vor allen Dingen auf gute straffe Zucht an. Göring ist nicht Herr der Klasse.“
Zu dieser Zeit besuchten bereits 451 Kinder die Schule und sechs Lehrer unterrichteten sechs Klassen. Die Einwohnerzahl war in den letzten hundert Jahren rasant angewachsen und das Schulhaus in der damaligen Chausseestraße reichte längst nicht mehr, trotz Ausbau. 1902 wurde aus der Lehrerwohnung ein sechstes Klassenzimmer, doch der Ruf nach einem neuen Schulhaus wurde immer dringlicher, denn schon ein Jahr später gab es acht Klassen in Caputh. 1909 war der erste Teil des Schulhauses in der Friedrich-Ebert-Straße fertig, den die Caputher der roten Klinker wegen, „Ziegelei“ nannten. Kirsten Graulich
Kirsten Graulich
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