KulTOUR: Dachgestühl mit halbem Kaiser
Die knarrende Treppe hinauf zu einer ungewöhnlichen Führung im Schloss Caputh
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Schwielowsee - Einmal im Jahr und stets im September will man im Caputher Schloss ganz hoch hinaus. Eine „Dachbodenführung“ ist angesagt, und die war am Sonntagnachmittag diesmal mit 20 Neugierigen ziemlich gut besucht. Gibt es dort etwa neben historischen Spinnweben, verborgenen Türen und den originalen Dachgespenstern vielleicht noch alte Schätze zu heben? Fehlanzeige. Sauber ist er, der Dachboden, trocken ist er, warm, und trotz seiner hölzernen Pracht aus unterschiedlichen Zeiten erstaunlich stumm.
Doch gemach, Milko Jovic, Assistent der Schlossbereichsleitung Caputh, brachte die altehrwürdigen „Zeugen der Vergangenheit“ schon zum Reden. Vorbei also am Entree mit den Bildern des Churfürstenpaares Friedrich Wilhelm und Dorothea, dann hundertachtzig Grad die knarrende Treppe hinauf, an den tiefliegenden Querbalken und einem zweibeinigen Schornstein beeindruckenden Ausmaßes vorbei - schon stand man, bildlich gesprochen, mitten im „Gehölz“ des zweigeteilten Dachbodens.
Zuerst ging man in die historische Schule, wo man erfuhr, dass dieses Schlösschen 1662 auf unbekannten Grundmauern errichtet wurde, und was, dank Dorothea und anderer Koryphäen, dann weiter mit ihm geschah. Da wurde geschenkt und ausgebaut und hin- und hergetauscht, mal residiert, dann wieder drinnen produziert, sogar ein Teltower Großbetrieb hatte in den späten Achtzigern der DDR hier ein Engagement.
Anschließend die Zimmermanns-Schule: Strebe, Riegel, Verblattung, Stuhlsäule, Hahnbalken und weitere Geheimworte waren an das teils originale, teils erneuerte Holz blattweise gepinnt, wer kennt sich schon aus in der Zimmermanns-Sprache. Fast vierhundert Quadratmeter Grundfläche, ein liegender Dachstuhl mit Sparrendach, doch ein ganz besonderer! Die Kurfürstin ließ über dem alten einen neuen errichten, so dass man in Caputh ein doppeltes Gestühl bewundern kann. Das hat ja nun wirklich nicht jeder!
Auf der gegenüberliegenden Seite ist weniger Platz, nur schmale Stege zum Laufen. Auch hier griff Dorothea in die ursprüngliche Bausubstanz ein. Sie wollte nämlich ein barockes Deckengewölbe für den Festsaal darunter. Nun hat man ihr zwar keine massive Gewölbedecke gemauert, aber was sich da, von einer „Attika“ geschützt, aus Holz, Strohgeflecht, Lehm und anderen Materialien anderthalb Meter über den Dachfußboden wie eine Blase erhebt, ist schon sehenswert.
Mehr jedenfalls als die Überreste der ersten Stromleitungen von 1908 diesseits der teils historischen, teils erneuerten Biberschwänze, die nicht so kompakt wie die Originale sind, bei starkem Wind „flattern“ und Schnee hindurchlassen, sodass die Museums-Crux da oben auch mal richtig „schippen“ muss.
Zuletzt die Schule des Sehens: Alte Schautafeln erinnern an die Rekonstruktionsversuche der Geräte- und Reglerwerke (GRW) Teltow in den Achtzigern. Und dann sind da auch noch Kästen und Kisten mit den Fundstücken vom Graben in Haus, Hof und Garten. Flaschenscherben historisch, eine verrostete Trageform für weichgekochte Frühstückseier, Stuckteile, Pappfliesen als Ersatz für die echten, sogar eine gipsene Gesichtshälfte des letzten Kaisers ist Teil vom Dachboden-Exterieur.
Fast eine Stunde hielt es einen dort oben. Keine Mäuse in Sicht, auch das Schlossgespenst hatte wohl gerade seinen freien Tag. Die Führung ist also gut und glatt gelaufen, nur sollte man beim nächsten Mal vielleicht ein paar Mützen Humor mit nach oben nehmen. Wiegt ja nicht viel.
Gerold Paul
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