Potsdam-Mittelmark: damit der Pastor über seine Sünde nachdenken kann
Am Montag feiert die Bekennende Kirche ihren 70. Geburtstag / Wittbrietzen war eine der Zellen des stillen, kirchlichen Widerstands gegen die Nazis
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Am Montag feiert die Bekennende Kirche ihren 70. Geburtstag / Wittbrietzen war eine der Zellen des stillen, kirchlichen Widerstands gegen die Nazis Beelitz · Wittbrietzen - Die Ereignisse, die Wittbrietzen vor 70 Jahren erschütterten, sind in der Kirche körperlich präsent. Immer, wenn Edith Oestereich an die Orgel tritt, wird das Dorf irgendwie daran erinnert. Edith Oestereich, geborene Huschke, begleitet seit 67 Jahren den Chorgesang in der Wittbrietzener Kirche. Damals, im August 1937 – sie war gerade 15 – sagte ihr der Pfarrer, dass sie nächsten Sonntag die Orgel spielen muss. Edith Oestereich weiß noch, wie sie als junges Mädchen im Garten stand und dem Pfarrer vor Scham und Aufregung den Rücken zuwandte. „Ich konnte doch nur ein paar einfache Choräle.“ Es gab keinen anderen Weg. Lehrer Samann hatte sich geweigert, sein Amt als Organist weiter zu führen. Was sich in der Wittbrietzener Kirchengemeinde damals abspielte, gefiel dem Parteigänger der Nazis überhaupt nicht: Während in anderen Kirchen die Hakenkreuze auf den Altären lagen, lehnte Pfarrer Wolff das um sich greifende Führerprinzip und den Allmachtsanspruch der Nazis für seine Kirchengemeinde ab. Andere im Ort, wie der Vater Edith Oestereichs, Friedrich Huschke, waren mit dem Pfarrer einer Meinung: „Für uns ist und bleibt Jesu Christus der Herr und das Wort Gottes das allein gültige.“ Mit fünf weiteren Bauern, angeleitet durch den Pfarrer, gründete Friedrich Huschke einen Bruderrat. Das kleine Zauche-Dorf wurde eine der Zellen des stillen, kirchlichen Widerstands, die sich seit der Bekenntnissynode von Barmen am 31. März 1934 überall in Deutschland bildeten. Als Gegenbewegung zur „Reichskirche“ der Deutschen Christen wurde an jenem Tag die „Bekennende Kirche“ gegründet: Mit eigenen Strukturen, klaren Worten und einer Hierarchie von Bruderräten wollte man der Verfälschung der christlichen Lehre durch die Rassenideologie der Nazis entgegentreten. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, auch in Wittbrietzen nicht: Zur Konfirmation 1934 kam es zum von Deutschen Christen provozierten Eklat, die genauen Hintergründe liegen im Dunkeln. Von Unterschlagung ist in den Kirchenbüchern die Rede, der Organist scheint im Fokus des Geschehens zu stehen. Vorwand oder Nebenschauplatz: Die Folgen sorgten im Ort für Gesprächsstoff. „9 Tage in Polizeigewahrsam Potsdam unter Grafen Halwarth auf Grund des Kommunistenparagraphen“, vermerkt Wolf später in seinem Protokollbuch. „In strenger Einzelhaft festgesetzt, damit der Pastor über seine Sünde nachdenken kann (Halwarth), anschließend ausgewiesen und verbannt.“ Durch die Gitterstäbe hörten die Eingesperrten das „ immer Treu und Redlichkeit“ der Garnisonkirche. Edith Oestereich hat den Tag der Rückkehr der Inhaftierten noch vor Augen: Alle Bürger sollten sich auf dem Dorfplatz versammeln. Die Deutschlandhymne wurde gespielt, Hakenkreuzfahnen flatterten im Wind. Doch der Einschüchterungsversuch nutzte nichts: „Meine Mutter hob mit vielen anderen nicht mal den Arm zum Hitlergruß.“ Und der Frust im Ort wuchs: Pfarrer Wolff war nicht unter den Rückkehrern. Bis Januar 1935 war er aus Wittbrietzen verbannt. „Die Gemeinde wurde maßlos terrorisiert. Sie ist in den neun Monaten in Solidarität mit ihrem Pfarrer nicht in die Kirche gegangen“, ist in Kirchenakten vermerkt. Nur für ein paar Wochen war Wolff zurück, um am 17. März 1935 – der Tag, an dem die Wehrpflicht wieder eingeführt wurde – erneut ausgewiesen zu werden – „ als in Preußen ca. 700 Pfarrer in Zuchthäusern, Gefängnissen und Spritzenhäusern eingesperrt waren“, wie Wolff im Protokollbuch festhielt. Die Wittbrietzener ließen sich nicht weich klopfen: Der zeitweise eingesetzte, deutsch-nationale Prediger wollte keinen Anklang im Ort finden. Leute aus dem Bruderrat, Fritz Aßmus und Friedrich Huschke, hielten Lesegottesdienste. Und es kamen Pfarrer zum Predigen, die ebenfalls der Bekennenden Kirche angehörten, wie Heinrich Vogel aus Dobbrikow und Pfarrer Schutzka aus Schlalach. Aus Protest gegen die Repressalien läuteteten zur Konfirmation 1935 – damals wurde der Bruder Edith Oesterreichs eingesegnet – die Glocken nicht. Ob die Nazis dem Druck nachgaben, ob sie die Sache im Sande verlaufen lassen wollten, ist nicht überliefert. Ostern 1936 kehrte Wolff jedenfalls wieder in die Gemeinde zurück. Lehrer Samann war das zu viel des Guten, und Edith Huschke, die mit ihrem Bruder nicht einmal in der Hitlerjugend war, kam an der Orgel zum Zuge. Die Einschüchterungsversuche hörten unterdessen nicht auf, Edith Oestereich kann sich die Szenen ins Gedächtnis rufen: Es war kein Einzelfall, dass die Gestapo unangemeldet neben ihr auf der Orgelempore auftauchte. Und am 1. Mai konnte schon mal ein SA-Trupp mit Fahnen unter der Kanzel stehen. Der Schutzpolizist aus Buchholz war ein häufiger, ungern gesehener Gast des Gottesdienstes. Im Februar 1938 forderten die Nazis die Herausgabe des Protokollbuchs vom Gemeindekirchenrat – die Folgen wären dramatisch gewesen, hätte man bestimmte Aussagen den Urhebern zuordnen können. Johannes Wolff verweigerte die Herausgabe, wagte es nicht, das Buch fortzuschreiben. Erst als er nach vierjähriger Wehrmachtszeit im August 1945 ins Dorf zurückkehrte, wurde das Protokollbuch aus dem Versteck geholt und die Eintragungen nach vier leeren Seiten fortgesetzt. „Unser Sterberegister ist voll“, notiert Pfarrer Wolff niedergeschlagen, „ da wir heute in der traurigen Lage sind, die Ernte der nationalsozialistischen Saat Hitlers und seiner Bonzen einzubringen, was für jede Familie mit unfassbarem Leid verbunden ist.“ Woanders heißt es: „So seltsam es später klingen mag, die Russen haben uns von der irrsinnigen Verfolgung durch die Hitlerbonzen befreit.“ Die Geschichte hat eine starke Konstante: Edith Ostereich wird am Pfingsmontag wieder die Orgel spielen. Zur Erinnerung an die damalige Zeit wird die Theologische Erklärung von Barmen – die Gründungsschrift der Bekennenden Kirche – verlesen, die heute in jedem Evangelischen Gesangbuch verzeichnet ist. „Für uns ist und bleibt Jesu Christus der Herr“, heißt es darin, „und das Wort Gottes das allein gültige“.
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