Potsdam-Mittelmark: Damm des Leidens
Nicht nur Kleinmachnow hat ein dunkles Kapitel über Zwangs- und Fremdarbeit, auch Teltow gibt es Zeugnisse
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Nicht nur Kleinmachnow hat ein dunkles Kapitel über Zwangs- und Fremdarbeit, auch Teltow gibt es Zeugnisse Von Kirsten Graulich Teltow-Sigridshorst. Die erste Schokolade schenkte ihr ein französischer Kriegsgefangener, erinnert sich Christel Wegener. Das war im Jahr 1940, als jeden Morgen um 6 Uhr Gefangene in Kolonnen über den Schwarzen Weg nach Sigridshorst kamen. Die Männer in den dunklen Drillichsachen arbeiteten am Bahndamm und schaufelten dort zwölf Stunden lang Sand, bei jedem Wetter. Langsam wuchs daraus eine Anhöhe, von der die Kinder sich gern herunter kullern ließen. Wäre nicht die Schokolade gewesen, hätte Christel Wegener das vielleicht vergessen, denn damals war sie erst vier Jahre alt. Doch Schokolade war in den Anfangsjahren des Krieges eine Rarität, es gab in deutschen Läden keine zu kaufen. Die Franzosen bekamen sie aus ihrer Heimat geschickt. Warum die Erwachsenen den Kindern immer wieder erzählten, französische Schokolade sei vergiftet, haben die Kinder damals nicht verstanden. Geglaubt haben sie es sowie so nicht, denn allen, die etwas ergattern konnten schmeckten die Leckerbissen und keiner kam zu Schaden. Einige Jahre später wurden Polen und Ostarbeiter zum Bau des großen Verschiebebahnhofes eingesetzt. Da hatte bereits die Berliner Gestapoleitstelle zehn Holzbaracken eines Arbeiterwohnlagers vom Reichsarbeitsdienst übernommen und in ein Arbeitserziehungslager umgewandelt. Als Kind ahnte Christel Wegener noch nichts von der rassenideologischen Stufenleiter, die die Reichsbehörden festgelegt hatten, sie sah nur: Den Polen und Ostarbeitern ging es schlecht. Mit Lumpen und Holzschuhen bekleidet, wurden sie von ihren Bewachern den Eichenweg entlang geknüppelt. Keiner durfte stehen bleiben. Der traurige Anblick hat nicht nur die Kinder angerührt, auch einige Siedler hatten den Mut, heimlich Pellkartoffeln und Brotreste an die Wegränder zu schütten. Noch im Bücken stopften Arbeiter, die sich auf diese Seite drängen konnten, soviel in den Mund wie ihre Hände greifen konnten. „Das war eine gefährliche Sache für beide Seiten", erzählt Christel Wegener, denn solche Heldentaten wurden mit „Schutzhaft" bestraft. Für die Sigridshorster gehört diese Zeit zum traurigsten Kapitel, das im diesjährigen Rückblick auf die 75-jährige Siedlungsgeschichte kaum Erwähnung fand. Schon zuvor mussten 34 Pächter der Kleingartensparte Teltow-Ost, sowie 80 Siedler ihr Land für die Reichsbahn räumen. Eine Seite der Siegfriedstraße wurde sogar dem Erdboden gleichgemacht. Erst später erfuhren die Sigridshorster, dass im Arbeitserziehungslager Großbeeren rund 25 000 Menschen aus 17 Nationen festgehalten wurden, die durch „geeignete Arbeitsmethoden", wie es hieß, diszipliniert werden sollten. Der Gestapo brachten die Arbeitsleistungen jährlich 900 000 Reichsmark ein, wie in der Teltwer Ortschronik zu lesen ist. Ebenso wird darin vermerkt: „Den Hauptprofit aber machten die Deutsche Reichsbahn und die Bauunternehmer". Aus den anfangs zehn Holzbaracken wurden 20, zu denen Häftlingsküche, eine Wachpersonalküche sowie Werkstatt und Lazarett gehörten. Um das Lager, das ein Gebiet von 3,75 Quadratkilometer umfasste, wurden Wachtürme errichtet und die Insassen von rund 80 Mann Wachpersonal bewacht. Essen wurde einmal täglich gegen 21 Uhr ausgegeben. Die Rationen bestanden aus 200 Gramm Kleiebrot und dünner Wassersuppe ohne Fleisch und Fett. Die Unterernährung führte innerhalb kurzer Zeit zum vollkommenen Verschleiß der körperlichen Kräfte. „Vorzimmer zur Hölle", nannten die Insassen das Lager. Ein französischer Zwangsarbeiter erinnerte sich, wie er die Karren zum Lazarett ziehen musste, um die Leichen abzuholen. „Dort, vor unseren Augen, in Holzkisten, unsere unglücklichen, namenlosen Kameraden, kahlgeschoren, nackt, zu Skeletten abgemagert, mit offenen Mündern, die Augen leer. Alle sind an Dysenterie gestorben, die Exkremente haben ihnen an den Beinen geklebt, manche hatten riesige Hämatome wir haben dieses unheimliche Gespann zur Kalkgrube gezogen". Etwa 1260 Häftlinge wurden in 32 Monaten im Großbeerener Lager durch Arbeit „ermordet". Seit 1946 erinnert eine Gedenkstätte an der Stelle des Massengrabes an die Toten.
Kirsten Graulich
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