Potsdam-Mittelmark: Dänen verstehen deutsche Schule nicht
Delegation an Teltower Oberschule erstaunt über Eigenarten des hiesigen Bildungssystems
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Teltow - Wenn ein Schulleiter mit seinen Schülern Fliesen verlegt, Decken verkleidet und Räume tapeziert, dann ist dieser Schulleiter schon ein außergewöhnlicher Pädagoge. Für die 20 dänischen Kollegen, die vor wenigen Tagen die Mühlendorf-Oberschule besuchten, ist Schulleiter Jürgen Voigt ein Pionier. Das Wort fiel oft beim Schulrundgang, während Voigt erläuterte, wie einzelne Projekte umgesetzt wurden. Nur einmal schüttelten die dänischen Besucher ungläubig den Kopf, weil für sie unvorstellbar ist, dass eine Schule bei Sponsoren um Geld bettelt, damit Computer für das Fachkabinett angeschafft werden können. „So etwas gibt es bei uns nicht, da bezahlt der Staat solche Ausrüstungen“, erklärte eine Lehrerin.
Doch es gab bei den Gästen noch mehr Irritationen. Beispielsweise als sie erfuhren, dass es in einem Ort wie Teltow in drei verschiedenen Schulen auch unterschiedliche Lehrbücher für ein Fach gibt, weil mehrere Schulbuchverlage miteinander konkurrieren. „Das ist bestimmt teuer?“, meinte ein Däne. Die viel gepriesene Autonomie dänischer Schulen sieht anders aus. „Ein Schulleiter kann bei uns sein Personal selbst einstellen und Arbeitsverträge abschließen“, berichtete die dänische Lehrerin Karin Chyssen. Auch über das Budget, das jede Schule erhält, kann sie eigenhändig verfügen. Bei privaten Schulen beträgt der staatliche Anteil 85 Prozent, die restlichen 15 Prozent tragen die Eltern. Bis zur 9. Klasse besuchen dänische Schüler die Folkeskole, eine Gemeinschaftsschule, die aus Grund- und Hauptschule besteht. Je nach Eignung können sie danach das Gymnasium besuchen oder beenden die 10. Klasse in der Folkeskole. Auch danach besteht noch die Möglichkeit, ein Abitur zu absolvieren. Drei Jahre dauert der Besuch der gymnasialen Oberstufe, der mit einem Examen abgeschlossen wird, bei dem zuvor ein für ganz Dänemark geltendes Zentralabitur mit schriftlichen und mündlichen Prüfungen bestanden werden muss. Das sind für dänische Schüler die einzigen Prüfungen, weshalb Karin Chyssen sich wundert, dass deutsche Gymnasiasten in fast allen Schuljahren mehrere Tests absolvieren müssen. „Bei uns erhalten Schüler dafür Aufgaben zu Themen, die sie selbst kommentieren müssen und das empfinden sie oft als sehr anstrengend, weshalb viele lieber Prüfungen hätten".
Im dänischen Schulalltag ginge es zudem lockerer zu als im eher autoritären deutschen System, meinen die Gäste. Dass die Türen zu den Lehrerzimmern in den Pausen immer offen sind, hat auch Schulleiter Voigt auf einer Informationsreise in Dänemark erlebt. „Der gute Kontakt zwischen Lehrern und Schülern kommt vielleicht auch daher, dass wir uns in Dänemark alle duzen“, so Karin Chyssen.
Auch in Dänemark gab es einen Geburtenknick, der Schulschließungen zur Folge hatte. Weil es in den 80er Jahren ein Drittel weniger Kinder zur Welt kamen, mussten in den 90er Jahren Schulen geschlossen werden. Heute sei die Zahl der Geburten wieder angestiegen, so dass neue Schulen gebaut werden.
Nicht verstehen können die dänischen Pädagogen, dass sich die Brandenburger Kollegen nach der Wende das dreigliedrige Bildungssystem überstülpen ließen. „Das ist doch ein sehr altmodisches, im Vergleich zu dem, was sie hatten.“ Denn das, was heute in Dänemark praktiziert werde, basiere auf der ehemals ostdeutschen Volksbildung, von der sich in den 80er Jahren die dänischen Kollegen inspirieren ließen. „Das Politische haben wir weggelassen und nur einige dänische Besonderheiten hinzugefügt“, merkte Karin Chyssen dazu an. Kirsten Graulich
Kirsten Graulich
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