Von Tobias Reichelt: Das Ende eines Handwerks
Stahnsdorfs Bäckermeister Christian Fink gibt auf – er ist der letzte alteingesessene Bäcker im Ort
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Stahnsdorf - Die anstrengende Nachtschicht ist dem Bäckermeister ins Gesicht geschrieben. Schon seit 22.30 Uhr ist Christian Fink auf den Beinen. Die Augen des 41-Jährigen sind an diesem Morgen glasig und rot unterlaufen. Teig kneten, Brötchen backen und Brote aus dem Ofen holen. Tag ein, Tag aus – sieben Tage in der Woche. Jetzt soll damit Schluss sein. Christian Fink wird seine Bäckerei am Stahnsdorfer Hof zum Jahresende schließen. Damit findet eine Tradition sein Ende: Fink ist der letzte alteingesessene Bäcker im Ort.
„Es gibt da so ein Spruch von dem Boxer Graciano „Rocky“ Rocchigiani", sagt Fink und knetet gedankenverloren seine Hände. „Ich bin satt“, habe der Boxer nach seiner K.-o.-Niederlage gegen Darius „Tiger“ Michalschewski gesagt. „So geht es mir jetzt auch“, sagt Fink. Vor 16 Jahren hat der Bäckermeister das Geschäft samt historischer Backstube von 1879 von seinem Vater Siegfried Fink übernommen. Es war der Tag, an dem Christian Fink auch seine Boxhandschuhe an den Nagel hing. Zwölf Jahre lang hatte er trainiert. Statt in der Freizeit weiter Kämpfe zu bestreiten, galt es für ihn nun eine Tradition fortzuführen.
„Ich bin Bäcker in vierter Generation“, sagt Fink. Sein Urgroßvater habe schon in Mecklenburg-Vorpommern eine Bäckerei geleitet. Christian Finks Vater Siegfried war es dann, der die Stahnsdorfer Bäckerei im Jahr 1984 vom Bäcker Fahlberg übernahm. „Ich habe in Teltow bei Bäcker Neuendorff gelernt“, erzählt Christian Fink. Die ersten Jahre arbeiteten Sohn und Vater gemeinsam. 1994 übernahm der Sohn das Geschäft komplett. Den ersten und einzigen Urlaub den Christian Fink seit dem hatte, nutzte er, um den Laden zu renovieren.
„Ich wollte wirklich gerne Bäcker werden", sagt Fink. Die ersten zwei bis drei Jahre lief das Geschäft gut. Er steigerte den Umsatz. Doch dann wuchsen immer mehr Supermärkte empor. Die Preise für Brot und Brötchen fielen. Tiefkühlware beherrsche heute den Markt und die Frühstückstische, sagt Fink. „Seit etwa zehn Jahren geht es nur noch bergab.“ Fink kann mit seiner kleinen Bäckerei nicht mehr mithalten. Der Preisdruck ist zu groß. Um die vier Angestellten bezahlen zu können, muss er sein Brot fast doppelt so teuer verkaufen, als es die Supermarkt-Ketten können. Als dann auch Großkunden absprangen, fiel irgendwann die Entscheidung. Am 31. Dezember wird Bäckermeister Christian Fink den Laden ein letztes Mal öffnen.
„Sicher bin ich traurig, aber ich freue mich auch auf ein neues, ruhigeres Leben“, sagt er. Sein Vater verstehe seinen Entschluss. Auch einige seiner treuesten Kunden könnten es nachvollziehen. Andere wiederum nicht. „Auf so einem Dorf ist da immer viel Gerede drum“, sagt Fink und winkt ab. Er will die Entscheidung auf keinen Fall wieder rückgängig machen. „Ich wünsche mir mehr Zeit mit meinem Sohn“, sagt er. Das Privatleben habe unter dem hohen Arbeitsdruck gelitten. Freizeit gab es für den Bäckermeister nur noch von Samstag- bis Sonntag-Mittag. Inzwischen sehne er sich nach einem Acht-Stunden-Job. Dass der 15-jährige Sohn die Familien-Tradition fortführt, stand nicht zur Debatte. Sein Sohn habe eine Mehlstauballergie, „das wollten wir ihm nicht antun“, sagt Fink, der selbst mit dem Bäckerasthma zu kämpfen hat.
Wie es weiter geht, weiß Christian Fink nicht. „Erst mal mache ich Urlaub", sagt er. Außerdem will er seinen amerikanischen Oldtimer, einen schwarzen Buick, Baujahr 1971, ausgiebig fahren. Bäckerei und Geschäft will Fink verkaufen, anschließend als Angestellter arbeiten, vielleicht in einer Großbäckerei als Produktionsleiter. „Oder etwas ganz anderes.“ Die Rezepte für Torten, Brot und die bei seinen Kunden beliebten „DDR-Brötchen“ will er für sich behalten: „Die bleiben hier oben drin“, sagt Christian Fink und tippt sich mit dem Finger an den Kopf, „und dann irgendwann, vergess ich sie vielleicht“.
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