KulTOUR: Das Haus und sein Henker
Literarisch-kulinarische Offerte im Scharfrichterhaus in Werder
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Werder - So richtig gruseln sollte es am Sonntagnachmittag die Gäste der Urania. Nicht zum ersten Mal hatte man in das schön restaurierte „Scharfrichterhaus“ zu Werder (Havel) geladen, „Kneipe-Café-Galerie“ seit 2002. „Erst die Gänsehaut – dann der Gänsebraten“, wer hätte bei dieser literarisch-kulinarischen Offerte widerstehen können, zumal draußen mit Regen und Sturm richtiges Scharfrichter-Wetter herrschte? So war das seit 1640 nachgewiesene Haus denn auch voll und gemütlich.
Angenehme, schnelle und unauffällige Gastlichkeit, das Interieur mit urigen Balken, Kerzen und anderen Sachen wirkte zwar nicht erzwungen historisch, war es aber dank der liebevollen Restaurierung durch eine ungenannte Architektin letztlich doch: Pastell außen, mit Kalkmörtel und Leimfarben gemischtes Mauerwerk, eine unter Terrakotta und Schamott-Steinen verborgene Fußbodenheizung, Eichendachstuhl innen, alles so geschickt eingesetzt, dass man es gar nicht wahrnimmt. Ein Kunstwerk also.
Hier wohnte Hans Möller, der Scharfrichter und Feldmeister, „gehorsamster und untertänigster Diener“ von Johann Sigismund Kurfürst von Brandenburg, über dessen Beruf „scharf Richter“ sich gut nachdenken lässt. Er hatte, vor der Stadt, den Galgen zu betreuen, betrieb aber auch eine „Abdeckerei“, Verwertung und Handel von irgendwie verstorbenem Vieh. So war der Tod gleich zweifach sein Beruf.
Bevor es nun an den Gänsebraten ging, trug der HOT-Schauspieler Christian Klischat, vom Dachgeschoss her mit einer Stall-Laterne erscheinend wie einst Willy Schwabe bei der „Rumpelkammer“, in solch gemütlicher Atmosphäre zwei skurrile Geschichten vor. Die erste schrieb Schweizer Autor und Kabarettist Franz Hohler. „Das Haustier“ handelt von der Sehnsucht eines Mannes nach dem Pelzvieh in den eigenen vier Wänden. Man ersteht es, um immer mehr zu erstaunen, was da – ohne Frachtpapiere – aus asiatisch'' Übersee erworben war: Ein leibhaftiger Teufel, der zu toben beginnt, wenn am Sonntag im Radio die katholische Messe läuft, dazu gottserbärmlich stinkt und seinen Besitzer allmählich in einen Diener verwandelt.
Christian Klischat las mit viel Temperament, doch manchmal etwas zu prononciert. Die zweite, Wolfgang Borcherts inhaltlich so berührende Erzählung „Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels“, durch seine akkumulative Epitheta-Häufung nur mit linguistischer Artistik zu vermitteln, wurde frei vorgetragen. Sie handelt von der Begegnung zweier ganz unterschiedlicher Männer mit demselben S-Fehler. Wunderbarer Text, erstklassiger Vortrag, Respekt.
Zwei Anmerkungen zu diesem gemütlichen Abend. Es sollte möglich sein, die sicherlich neugierigen Gäste – wer geht schon freiwillig zum Scharfrichter – vorab mit Haus und Henker bekannt zu machen. Zweitens müssen gruselträchtige Ankündigung auch eingelöst werden: Wird „Gänsehaut“ angekündigt, ist literarische Skurrilität einfach zu wenig, matte Himbeer-Limonade!
Man muss ja nicht gleich Roald Dahls düster Mär vom selten gewordenen Hochlandschaf aus Schottland bemühen, das man nur exklusiv im Club bekommt. „Die Lammkeule“ täte es auch – und danach würde selbstverständlich eine solche serviert. Besten Appetit! Der schwarzhumorige Südwaliser hält in dem gleichnamigen Sammelband manch kulinarische Überraschung bereit, das reichte für Jahre. Aber in Werder gab es ja am Sonntag auch keine Blutwurst!
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