Potsdam-Mittelmark: „Das ist eine verdammte Verantwortung“
Wenn Kleinigkeiten entscheiden: Der Stahnsdorfer Hartmut Zander ist Richter im Ehrenamt
Stand:
Herr Zander, die fünfjährige Amtsperiode der Schöffen nähert sich dem Ende. Warum sollte man sich jetzt bewerben?
Weil man viel lernt. Ein Schöffe oder ein ehrenamtlicher Richter wie ich kann aktiv am Prozess teilnehmen. Man ist mit seiner Person, seiner Lebenskenntnis, seiner Erfahrung gefragt. Es ist eine herausragende Sache unseres Rechtssystems, dass man die Entscheidung nicht nur Berufsrichtern überlässt. Allerdings wird aus Kostengründen die Mitwirkung der Schöffen und ehrenamtlichen Richter zurückgedrängt.
Wie viel Geld bekommen Schöffen?
Man erhält eine Aufwandsentschädigung. Die Fahrtkosten werden ersetzt und es gibt fünf Euro pro Einsatzstunde. Arbeitnehmer erhalten auch einen Verdienstausfall, ihr Arbeitgeber muss sie freistellen. Vorschrift und Realität gehen dabei aber nicht immer konform. Man muss mit aller Deutlichkeit sagen, dass Deutschland sehr unternehmerfreundlich ist.
Wie oft ist man denn als ehrenamtlicher Richter unterwegs?
Heute bin ich manchmal nur noch vier- oder fünfmal im Jahr bei Gericht. In den Jahren 2008 bis 2010 war ich im Jahr noch zwischen acht- und zwölfmal dort.
In Kleinmachnow wollen Sie am Dienstag für das Schöffenamt werben und Ihre Arbeit vorstellen.
Ich will darüber reden, was es bedeutet, Schöffe oder ehrenamtlicher Richter zu sein. Es ist eine freiwillige Aufgabe, von der man wissen sollte, was man sich auflädt. Mein Anliegen ist es nicht, darzustellen, welcher Paragraph wozu passt. Jeder Prozess ist anders. Jeder Sachverhalt, jede Verhandlungssache ist spezifisch. Es geht um Menschen.
Was lädt man sich denn auf?
Man lädt sich Arbeit auf. Man lädt sich auf, dass Freizeit verloren geht.
Was ist das für Arbeit?
Kopfarbeit. Fahrerei. Das geht schon damit los, dass man der Würde des Gerichts adäquat erscheinen möchte, also nicht im Blaumann.
Beim Kauf von Hemd und Krawatte wird es aber wohl nicht bleiben. Wie bereitet man sich auf eine Verhandlung vor?
Die juristische Fachkenntnis bringt der Berufsrichter mit, der Schöffe seine Lebenserfahrung. Er ist unvoreingenommen und hat keine Scheuklappen. Das ist hilfreich, denn Rechtsvorschriften sind manchmal schwierig und nicht immer adäquat mit der Realität in Einklang zu bringen.
Sie gehen unvorbereitet zur Verhandlung?
Man geht hin und wird dort mit der Sache konfrontiert. Der Berufsrichter fasst in meinem Falle am Sozialgericht die wesentlichen Eckpunkte zusammen. Dann geht es in die Aufnahme des Falls, der Beweismittel. Kläger und Beklagte werden gehört. Es ist die Aufgabe des Schöffen, mitzudenken, nicht nur dort zu sitzen. Er ist derjenige, der am Ende mit ein Urteil sprechen soll. Das ist eine verdammte Verantwortung.
In einer Verhandlung wird alles vorgetragen. Am Ende ziehen sich die Richter zurück. Was passiert hinter den Türen?
Hinter den Türen werden in geheimer Beratung die Argumente ausgetauscht. Welche rechtlichen Eckpunkte gibt es? Welchen Eindruck hat man von dem, was dort vorgetragen wird? Ist das realistisch? Ist das wahr? Im Strafverfahren geht es dann in erster Linie um die Schuldfrage und dann um das Strafmaß. Ein Schöffe hat das Recht, zu widersprechen, wenn etwas nicht zusammenpasst. Da rebelliert manchmal der Urin. Dann sind es Kleinigkeiten, die entscheiden.
Kleinigkeiten?
Eine Geste, ein Blick, eine Bewegung. Kleinigkeiten eben, die auffallen, wenn sich Leute in Widersprüche verstricken.
Was passiert, wenn sich Schöffen und Berufsrichter hinter den Türen nicht einig werden?
Es gibt eine Mehrheitsentscheidung. Jeder Richter, ob beruflich oder ehrenamtlich, hat gleiches Stimmrecht. Und wenn es zwei zu eins steht, ist das bindend.
Und nach der Verhandlung?
Wenn das Urteil gesprochen ist, ist die Arbeit für den ehrenamtlichen Richter, für den Schöffen erledigt. Die Urteilsbegründung muss der Jurist verfassen.
Seit sieben Jahren sind Sie aktiv. Was sind das für Fälle, die Sie begleiten?
Das sind Verfahren, in denen es um sozialrechtliche Ansprüche geht, um Wohngeld, Kindergeld oder alles, was im Zusammenhang mit ehelichen oder außerehelichen Zugewinngemeinschaften steht. Da gibt es viele Streitpunkte.
Es geht also um Geld?
Ja, und da es sich hier meist um Leute handelt, deren Finanzen sehr knapp sind, geht es für sie um existenzielle Fragen.
Ist es dann nicht schwierig, auf diesem Gebiet Entscheidungen zu fällen?
Ja, aber letztlich ist das der Anspruch an jeden ehrenamtlichen Richter oder Schöffen. Da muss jeder mit sich selbst und seinem Gewissen ins Reine kommen.
Wie meine Sie das?
Mein Anspruch ist es, mit ruhigem Gewissen aus jedem Verfahren herauszugehen. Ich muss mir sagen können, alles, was in meiner Macht stand, habe ich getan, ich habe an einem Urteil mitgewirkt, das ich vertreten kann, wofür ich mich nicht schämen muss.
Hat es schon einen Fall gegeben, der Ihnen besonders nah ging?
Über einzelne Verfahren darf ich nicht reden. Aber es gab Sachen, die mich Wochen bewegt haben. Wenn der Hinterkopf arbeitet: War das richtig, was du gemacht hast? Auch wenn es gar nicht um große Geldbeträge geht – für die betroffenen Leute hat es Relevanz. Es kommt öfter vor, dass einem das Herz blutet. Damit muss man fertig werden und damit wird man auch fertig. Das Leben geht weiter. Man muss sich sagen: Ich habe alles getan, um zu einem fairen Urteil zu kommen.
Das Interview führte Tobias Reichelt. Hartmut Zander spricht am Dienstag, dem 12. März, im Kleinmachnower Rathaus zum Schöffenamt. Beginn ist um 19 Uhr in der dritten Etage im Sitzungsraum 1.
Hartmut Zander ist 65 Jahre alt. Der studierte Kriminalist ist seit sieben Jahren am Sozialgericht in Neuruppin tätig und Mitglied des Bundes der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.
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