Schulessen von Sodexo: „Das Problem kam übers Meer geschippert“
„Unser Anspruch ist gutes und gesundes Schulessen“ „Wir haben bei einem sächsischen Lieferanten eingekauft“ Sodexo-Chefin Adrienne Axler über die Norowelle, deutsche Gesetze und den Wert des Schulessens
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Adrienne Axler ist seit 1990 bei Sodexo, begann ihre Karriere als Gebietsleiterin. Seit 2010 ist sie Marketingchefin für Europa, seit wenigen Wochen leitet sie die deutsche Dependance.
Ende September sind über 11 000 Schüler und Kitakinder, vor allem in Ostdeutschland, an Brechdurchfällen erkrankt. Bei den meisten wurde Sodexo- Essen als Ursache ausgemacht. Fünf Wochen sind vergangen, welche Lehren haben Sie gezogen?
Kontrolle und Kennzeichnung sind das A und O, wir werden weiter daran arbeiten. Damals galt die Hauptsorge den Kindern. Denen ging es schlecht und das war etwas, das uns sehr beschäftigt hat. Wir haben im selben Moment, als wir davon erfahren haben, sämtliche Waren gesperrt, die an den infrage kommenden Tagen ausgeliefert wurden. Wir hatten in keiner unserer Rückstellproben einen Norovirus, auch im Vorfeld nicht. Wir mussten also auf Grundlage der Dokumentation schauen, welche Küche was wohin geliefert hat. Die Behörden haben das abgeglichen. So konnten wir das detektivisch einengen und identifizieren, dass es sich um Tiefkühlerdbeeren handeln könnte. Nach kurzer Zeit hat man in einem Originalkarton das Virusmaterial nachweisen können. Die Behörden haben anerkannt, dass wir in dieser Situation sehr gut organisiert waren und schnellstmöglich zur Klärung beitragen konnten.
In Werder (Havel) gibt es eine der größten Sodexo-Küchen in der Region. Werder ist zugleich eine traditionsreiche Obstanbauregion in Ostdeutschland. Viele Menschen dort und anderswo haben sich gewundert, warum für das Schulessen ihrer Kinder Erdbeeren aus China eingeführt werden.
Nahezu die Hälfte des Obstes und Gemüses, das wir bei Sodexo verarbeiten, kommt schon jetzt aus Deutschland. Aber nicht alles wächst hier in jeder Region zu jeder Zeit. Natürlich ist Werder ein tolles Obstanbaugebiet, aber um diese Jahreszeit sind Erdbeeren dort nicht zu bekommen. Wir verstehen solche Fragen trotzdem. Es gibt dazu auch eine Linie bei Sodexo: Wir wollen regional, saisonal oder nachhaltig angebaute Produkte verarbeiten. Wir hatten das Ziel, bis 2015 den regionalen Anteil auf 50 Prozent zu erhöhen, dass soll nun schon im kommenden Jahr passieren.
Warum nicht 100 Prozent?
Die Frage muss sich die ganze Gesellschaft stellen. Wenn wir im Februar zum Beispiel von regional sprechen, gibt es den Apfel aus dem Winterlager und mehr nicht. Die Kinder und Jugendlichen sind anderes gewohnt. Die Hälfte der Erdbeeren, die in Deutschland verbraucht werden, sind importiert. Es wird hier mehr verbraucht, als produziert wird, und das nicht nur in der Saison.
Aber gleich aus China? Das sind auf dem Seeweg mehr als 20 000 Kilometer.
China ist einer der größten Obstexporteure der Welt, für Erdbeeren der größte. Wir waren uns im aktuellen Fall aber nicht mal bewusst, dass diese Ware einen so langen Weg genommen hat. Offen gestanden: Wir haben bei einem sächsischen Lieferanten eingekauft. Unsere Erwartung war nicht, dass dessen Ware um die halbe Welt gereist ist, sondern dass es sich um Tiefkühlware aus der Region oder zumindest der EU handelt. Dass es anders war, hat uns überrascht und enttäuscht. Da wurde auch gegen unsere Geschäftsstrategie verstoßen. Die Lieferanten kennen unsere Philosophie: Wenn sie uns keine regionale, saisonale oder nachhaltig angebaute Ware liefern, dann wissen sie, dass das nicht in Ordnung ist. Wir haben gelernt, dass wir die Kontrolle von Anfang an stärken müssen. Die Lieferverträge müssen besser werden. Und der Weg der Ware muss vom Erzeuger an nachvollziehbar sein, wir können uns da nicht auf den Handel allein verlassen.
War die Herkunft denn nicht markiert?
Es gibt eine gesetzliche Schwachstelle: Tiefgefrorenes Obst gilt als verarbeitetes Lebensmittel, damit ist keine Herkunftsbezeichnung erforderlich. Auf dem Lieferschein der verseuchten Erdbeeren war also nicht nachzulesen, dass sie aus China stammen. Das stellte sich leider erst am Ende einer schlimmen Situation heraus. Sodexo hat ja sogar eine Filiale in China, unsere Leute könnten also vor Ort schauen, ob die Produktionskette unseren Kriterien genügt. Es kann ja mal notwendig sein, dass chinesische Tiefkühlerdbeeren verarbeitet werden müssen. Wir wollen das dann aber wissen.
In Deutschland hat eine Diskussion begonnen, wie viel Eltern für das Mittagessen ihrer Kinder zu zahlen bereit sind. Sodexo selbst hatte im Frühjahr mit anderen Anbietern die Teilnahme an einer Ausschreibung in Friedrichshain-Kreuzberg boykottiert, weil die Preisgrenze von 2,10 Euro zu niedrig war. Wie teuer muss Schulessen sein?
Das ist ein ungemein komplexes Thema, denn es hängt von vielen Faktoren ab: den Lieferwegen, den Mengen, der Frage, ob vor Ort gekocht werden kann. In Friedrichshain-Kreuzberg wurde die Grenze unterschritten, zu der man hygienisch und sicher arbeiten kann. Wir fanden das wie auch andere Anbieter nicht mehr akzeptabel und haben es lautstark geäußert. Ist die Sicherheitsfrage beantwortet, haben Sie nach oben alle Freiheiten für gute Qualität. Da kommt es wirklich darauf an, was die Kommunen und vor allem die Elternschaft möchten. Unser Anspruch ist immer, gutes und gesundes Schulessen zu verkaufen, das die Kinder gern essen und sie fit für den Schulalltag macht.
Es gibt Qualitätsstandards für Schulessen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Darin sind Rohkost-, Gemüse- und Fleischanteile genau definiert, sogar die Garmethoden. Allerdings haben sich nur ein paar Dutzend Schulen zur Einhaltung durchgerungen. Sollte man das nicht als gesetzlichen Mindeststandard einführen?
Wenn die Einhaltung für alle gleichermaßen gilt, fänden wir eine einheitliche Regelung exzellent. Auch wenn wir eher eine liberale Gesellschaft mit wenig Gesetzen wollen, sind Untergrenzen in diesem Bereich notwendig. Sie müssen aber kontrolliert werden. Bei gleichen Voraussetzungen wären wir immer gut genug, um allen anderen voraus zu sein. Wir haben schon einige Ausschreibungen gewonnen, in denen der DGE-Standard vorgeschrieben war. Es ist wichtig, Konsens mit den Eltern zu haben, bevor man sich für so einen Weg entscheidet. Denn wenn wir erklären, das kostet bei deinen Rahmenbedingungen 3,50 Euro, kommen immer wieder Fragen auf.
Die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat im Auftrag des Berliner Senats errechnet, dass das Essen mit den DGE-Kriterien zwischen 3,17 Euro und 4,25 Euro kosten müsste.
Wenn jemand behauptet, dass er das billiger kann, dann glauben wir das nicht.
Ist der Konsens bei den Eltern denn erzielbar? Oder ist es nicht einfacher, mehrere Varianten im Essensangebot zu haben?
Wir können leider nicht an einer Schule unterschiedliche Essensangebote machen – vielleicht mit Ausnahme von Internationalen Schulen, wo der finanzielle Druck nicht gegeben ist. Ein Konsens verschiedener gesellschaftlicher Gruppen lässt sich vielleicht schwer darstellen, aber in einer Elternschaft sollte das mit den Schülern möglich sein. Da sollte man sich mit Schulleitung und Schulträger an einem Tisch einig werden können. Es wäre ja auch denkbar, dass Eltern je nach Leistungsfähigkeit in einen gemeinsamen Topf einzahlen, aus dem das Essen dann bezahlt werden kann. Nicht in unserem Interesse wäre eine soziale Ausgrenzung, die beim Schulessen beginnt.
Ärgert Sie, dass der Mehrwertsteuersatz für Hotels verringert wurde und Sie für das Schulessen den vollen Mehrwertsteuersatz durchreichen müssen?
Dass Hundefutter in Deutschland mit 7 Prozent versteuert wird und Schulessen mit 19, ist steuerrechtlich vielleicht noch nachvollziehbar, für unsere Gesellschaft aber ein untragbarer Zustand. Die Mehrwertsteuer für Lebensmittel beträgt ja wegen des Gedankens der Grundversorgung 7 Prozent, dass Schulessen höher besteuert wird, ist schon seltsam. Hinzu kommt, dass Universitäten zum Beispiel für die Mensenversorgung von der Mehrwertsteuer befreit sind. Wo ist da noch der Sinn? Wir sind zu dem Thema im Gespräch mit Bundestagsausschüssen. Auf europäischer Ebene wird es noch komplexer. Für international aktive Caterer wie uns wäre eine einheitliche europäische Regelung wünschenswert. Wenn die Kinder eine gute Ernährung bekommen, wachsen sie besser, lernen besser, sind gesünder – das sollte im Interesse der ganzen europäischen Gesellschaft sein.
In Werder wird diskutiert, ob das Schulessen per Cook-and-chill-Verfahren besser wird. In der DGE sieht man das ähnlich.
Wenn Essen drei Stunden warm gehalten wird, beginnt ein langsamer Vitaminzerfall. Cook and chill ist tendenziell besser, wir bekommen damit kein besseres Gemüse, aber es wird mehr Vitamine haben. Die Großküche in Werder ist zum Beispiel eine Cook-and-chill-Küche, sie liefert 50 Prozent ihrer Portionen in dem Verfahren. Dafür muss es in den Einrichtungen Regenerationsmöglichkeiten geben, cook an chill heißt ja „kochen und abkühlen“. Da die Kinder kein kaltes Essen wollen, muss es vor Ort wieder in Konvektomaten erhitzt werden. Diese Geräte müssen da sein und wir finden toll, wenn die Kommunen das leisten können. Mit langfristigen Verträgen können wir unter die Arme greifen. Das Schulessen muss dabei nicht mal viel teurer werden.
Die Kommunen konnten sich nach der Epidemie wegen der Verträge oft nicht ohne weiteres von Ihnen trennen, aber der Wunsch wurde für die nächste Ausschreibung schon hier und da formuliert. Wie gehen Sie damit um?
Innerhalb dieser Krise sind viele Emotionen hochgekocht, viele Menschen haben Dinge gesagt, ohne alle Fakten zu kennen. Ich glaube, nachdem nun klar ist, was passiert ist, und selbst die Staatsanwaltschaft gesagt hat, dass Sodexo kein Vorwurf zu machen ist, gibt es wieder Hoffnung. Wir sind sicher, dass wir so leistungsfähig sind und in der Vergangenheit so beanstandungsfrei gearbeitet haben, dass nach einer sachlichen Analyse nur noch wenige bleiben, die nichts mehr mit uns zu tun haben wollen.
Aber die wird es geben.
Dann hoffen wir, dass sie bei der nächsten Ausschreibung zurückkommen. Es wäre ja zynisch zu behaupten, dass kleine Caterer in diesem Fall die bessere Option gewesen wären, dann wären womöglich alle 44 Tonnen der tiefgekühlten Ware in Umlauf geraten. Nur durch die schnelle Reaktion aus einer zentralen Situation heraus konnte das eingegrenzt werden. Das Problem kam auch nicht aus Sodexoküchen, sondern übers Meer geschippert und liegt immer noch, inzwischen versiegelt, im Hamburger Hafen.
Lässt sich so eine Epidemie für die Zukunft völlig ausschließen?
Von unserer Seite werden wir dazu tun, was möglich ist, und vor allem weiter an den Lieferantenverträgen und an deren Kontrolle arbeiten. Staatlicherseits wäre es wünschenswert, die Kennzeichnungen zu verbessern, damit wir auch von unserer Tiefkühlware wissen, wo sie in Wirklichkeit herkommt.
Horst de Haan wurde gerade durch Sie von der deutschen Konzernspitze abgelöst. Hat das etwas mit der Epidemie zu tun?
Der Wechsel in der Spitze war schon seit längerer Zeit vorbereitet. Das zufällige zeitliche Zusammentreffen mit der Noroviren-Situation hat die Übergabe etwas verzögert, da ich mich gemeinsam mit Herrn Doktor de Haan sofort mit höchster Energie der Lösung zugewandt habe. Nun findet der planmäßige Übergang in den nächsten Wochen statt.
Das Interview führte Henry Klix
Die Sodexo Group ist ein französisches Unternehmen für Catering, Gemeinschaftskost und Liegenschaftsverwaltung. Es wurde 1966 in Marseille gegründet. Auftraggeber sind die Industrie, Behörden, Kliniken, Heime, Schulen, Kitas, Militärbasen und Gefängnisse. Rund 391 000 Mitarbeiter erwirtschaften nach Firmenangaben in 80 Ländern einen Umsatz von 16 Milliarden Euro. Sodexo verpflegt jeden Tag 50 Millionen Menschen. In Deutschland ist die Firma seit 1991 aktiv und beschäftigt in seinen Betrieben inzwischen 17 200 Mitarbeiter, der Umsatz betrug im Jahr 2011 insgesamt 682 Millionen Euro. Die deutsche Firmenzentrale ist in Rüsselsheim. hkx
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