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Potsdam-Mittelmark: Das richtige Ambiente

Geschlagen und missbraucht: Seit 15 Jahren gibt Inge Rahmel Kindern in Kienwerder eine neue Zukunft

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Stahnsdorf - Aufgeregt drängt sich Belana durch den kleinen Besuchertross im Kinderdorf Kienwerder: „Inge, Inge, ich habe eine Spinne im Zimmer“, ruft das sechsjährige Mädchen und streckt ihre Hände Inge Rahmel entgegen. „Ist doch nur eine Spinne“, beruhigt die 64-Jährige und hebt Belana auf den Arm. Schon seit 15 Jahren betreibt Inge Rahmel gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Hermann Borreck das Kinderdorf in dem Stahnsdorfer Ortsteil – eine private Einrichtung, die Kindern in Not ein Zuhause gibt. In einem Jahr gehen beide in Rente und werden die Führung des Kinderdorfes abgeben. Das erklärten sie gestern bei einem Besuch der SPD-Bundestagskandidatin Andrea Wicklein in Kienwerder.

Misshandelt, missbraucht, halb verhungert oder ins Koma geprügelt, die Kinder, die von Rahmel aufgenommen wurden, hatten Schlimmes erfahren. Ihre Eltern waren oft jahrelang mit der Erziehung überfordert. Ganze Geschwisterpaare haben im Kinderdorf ein neues Zuhause gefunden und hier wieder lachen gelernt. Die Jüngsten sind gerade zwei Jahre alt. Die Ältesten 22. Nur jedes dritte Kind kehrt in seine Familie zurück. Die anderen bleiben, bis sie ihre Ausbildung absolviert haben. Sie wohnen zum Teil bei Inge Rahmel im Haus.

„Ich will mich künftig um das Ambiente auf dem Gelände kümmern“, sagt Rahmel – so richtig abnehmen mag man das der engagierten Erzieherin und früheren Schulleiterin nicht. Bislang war sie rund um die Uhr für ihre Kinder da. Nun ist der Generationenwechsel an der Spitze des Kinderdorfs eingeleitet: Rahmels Kinder, die 40-jährigen Zwillingsgeschwister Tino und Jana Rückwarth, haben die Geschäftsführung des Familienunternehmens bereits übernommen.

Mit drei Kindern hatte Inge Rahmel das Projekt Kinderdorf Mitte der 90er Jahre in Kienwerder begonnen. In ihrem Haus nahm sie die ersten Kinder auf. Nach und nach kamen Neue hinzu. Das familiäre Konzept fand Anklang beim Jugendamt und bei den Kindern. Verteilt auf sechs Grundstücke wohnen heute in der kleinen Wohnsiedlung 35 Kinder in acht Häusern. Die meisten der Häuser stehen unscheinbar zwischen den anderen Einfamilienhäusern in der Gegend. Auch in den sechs Außenstellen des Kinderdorfes, zum Beispiel in Teltow oder Neuseddin mit weiteren 42 Kindern, herrscht familiäres Ambiente.

„Wir sind kein Heim“, erklärt Inge Rahmels Partner, Herrmann Borreck, „wir sind eine große Familie.“ Mit Absicht habe man darauf verzichtet, das Kinderdorf von außen zu kennzeichnen. So sehr man auch sucht, an keiner Tür findet sich ein Hinweis auf die Einrichtung. „Die Kinder wollen das nicht“, erklärt Borreck. Sie seien hier, um Normalität zu finden – etwas, das die meisten Kinder in ihren Elternhäusern nicht haben.

In Kienwerder beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt: Es gibt saubere Zimmer, Therapeuten und Nachhilfelehrer – Jugendliche, die rumhängen, gibt es nicht, sagt Borreck. Alle Kinder des Dorfes haben es zu etwas gebracht, sagt Inge Rahmel stolz. Und auch die Kleinen werden den Großen nacheifern: Allein in diesem Jahr werden sieben Dorfkinder eingeschult. Die kleine Belana ist auch dabei. Tobias Reichelt

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