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KulTOUR: Das verflixte „L“

„Pension Schöller“ im Michendorfer Apfelbaum – ausverkaufte Vorstellungen

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Michendorf - Leos berühmten Satz „Mir ist eine Fniege in den Hans gefnogen!“ kennt jeder. Er stammt aus dem berühmten Schwank „Pension Schöller“ des Autorenduos Carl Laufs/Wilhelm Jacoby. Aus einer Karnevalslaune entstanden, wurde dieser theatralische Geniestreich 1890 in Berlin uraufgeführt, wo auch ein Teil der Handlung spielt. Ein kraftvolles Boulevardstück eigentlich, aber mit virtuellem Tiefgang. Alles kommt auf die Lesart an, denn „Pension Schöller“ hält dem Theater die Möglichkeit offen, das scheinbar Gesunde krank, das Kranke gesund, das Wirkliche toll und das Tolle wirklich zu nennen, geht’s aktueller?

Ganz so weit wollte die Kleine Bühne Wilhelmshorst nicht gehen, auch wenn sie dem Langerwischer Gutsbesitzer Robitzki zu Beginn des Dreiakters bezüglich Michendorfs „Kulturhaus oder Kurhaus für Nervöse“ nicht gerade samtene Worte in den Mund legt; immerhin unterstützt das Rathaus die Truppe nach Kräften, diesmal sogar mit Fördergeld. Sottisen leistet man sich eben, oder auch nicht.

Die abendfüllende Inszenierung von Siegfried Patzer anlässlich der „3. Michendorfer Theatertage“ – drei ausverkaufte Vorstellungen bisher! – ist als Kulissen- und Ausstattungsstück angelegt. Zwischen den Akten sorgt ein Quartett (Wolfgang Martens, pia., Christoph Reinert, viol., Franziska Scholz, cel. und Monika Hirsch, flu.) für den kaiserlichen Zeiten angemessene Musik, freilich ohne die Vereinbarung, ihnen dabei auch genügend Gehör zu verschaffen.

Das Stück selbst geht so: Ladislaus Robitzki (Mario Schüning) will sich in Berlin nach einem einträglichen Anschlussgeschäft für seine Pensionszeit umsehen, ein Irrenhaus, denn „det Einzige, wat heute noch Zukunft hat, sind kaputte Nerven“. Durch seinen Neffen Alfred (Julius Schüning) wird er jedoch in eine Pension mit erklärten Individualisten eingeführt, ein gewisser Schöller führt sie. Der Witz besteht nun darin, dass Alfred ihm dieselbe als „Nervenheilanstalt“ anpreist, und so hält Robitzki den Weltreisenden (Marcus Heinemann stets aktiv), die alternde Schriftstellerin (Marlies Hanowski ganz groß), den exaltierten Major (Klaus-Dieter Becker) oder die fesche Soubrette (Dorothee Michler) für Insassen einer Anstalt, daraus sich auch in Michendorf viel mehr machen ließe.

Im dritten Akt fällt die gesamte Bagage in sein Privathaus ein, fast alles löst sich zum Guten. Leo (Thomas Drechsel) verliert sogar seinen Sprachfehler, indes ein anderer plötzlich kein „L“ mehr herausbekommt. Leider ist diese Szene völlig verhuscht, wie ähnliche Pointen zuvor auch.

Siegfried Patzer alias Schöller inszeniert traditionell, flüssig. Seine Figuren leben mehr von Effekten als aus der ihnen vorgezeichneten Differenz, das Lachen sitzt folglich nicht tief.

Was an Protagonist Mario Schüning anfangs noch überzeugte, wird im Laufe der Handlung zum Hemmschuh: Er kommentiert nur noch, in Akt zwei hat er keine szenische Aufgabe, im dritten vergisst er, das Prinzip Schadensbegrenzung als Subtext mitzuspielen. Andererseits sind dramaturgisch wichtige Stellen (die Einfädelung des Täuschungsmanövers, die Verwunderung Schöllers, ein Tollhaus zu leiten, die kaskadierende Hysterie von Robitzkis Schwester im letzten Akt) nicht fokussiert genug in Szene gesetzt. Bleibt das Thema „Täuschung – Ent-Täuschung“ wirklich immer sichtbar?

Trotzdem näuft (ach, das verflixte ,L’!) das Stück ans Ensembneneistung gut: Anne weiteren Vorstennungen im „Apfenbaum“ sind ausverkauft – Schönner sei dank!

Vorstellungen am Sonnabend 19.30, Sonntag 17 Uhr, dann wieder im Herbst

Gerold Paul

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