Potsdam-Mittelmark: Das verlorene Paradies
Mit einer Ausstellung erinnern Schüler an das Jüdische Landschulheim Caputh
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Michendorf · Wilhelmshorst – Mit der Ausstellung „Ein verlorenes Paradies“ erinnern Wilhelmshorster Schüler seit Montag an die Geschichte des ehemaligen jüdischen Landschulheims in Caputh. Zahlreiche Tafeln und Fotos informieren aber nicht nur über die Geschichte des Heims – sie vermitteln vor allem einen persönlichen Eindruck vom Alltag mit Schultheater und Musikunterricht, jugendlichen Aufnahmeritualen und Streichen. Dazu gehörte für die Schülern auch das Glück, als Jude nicht mehr diskriminiert zu werden. Die Kinder hätten das Heim zwischen Havel und lichten Kieferwäldern als Paradies empfunden – „ein verlorenes Paradies“, sagte SPD-Landtagsfraktionschef Günter Baaske zur Ausstellungseröffnung in der Oberschule am Heidereuterweg.
1931 war das Landschulheim von der Reformpädagogin Gertrud Feiertag, den Kindern nur als „Trudebude“ bekannt, gegründet worden, um jüdischen Kindern, neben dem üblichen Schulstoff auch die jüdische Religion zu vermitteln. Am 10. November 1938, ein Tag nach der Reichspogromnacht, endete aber die kurze Geschichte des Landschulheims.
„Es war furchtbar“, erzählt eine Besucherin aus Caputh, die damals als 9-Jährige das Geschehen beobachtete. „Die Nazis zogen durch den Ort und riefen: ‚Heute schmeißen wir die Juden raus.’“ Schnell verlieren die Vorträge der Gastredner ihren förmlichen Charakter und verwandeln sich in ein Zwiegespräch mit den anwesenden Zeitzeugen. Es sind die persönlichen Erinnerungen der geladenen Zeitzeugen, vor allem der drei ehemaligen Schüler des Heims, die den Abend bestimmen. Doch auch sie lassen die Anwesenden nur erahnen, was sich an diesem Tag abgespielt haben muss: Ortsansässige, unter ihnen auch Lehrer einer Grundschule und deren Schüler, die das Landschulheim stürmten, Mobiliar zertrümmerten und den Kindern ihr Essen ins Gesicht warfen. Durch den Wald flüchteten Kinder und Lehrer zunächst nach Potsdam. Einigen gelang die Flucht nach Palästina, nicht so Gertrud Feiertag, der Gründerin des Landschulheims. 1942 wurde sie nach Auschwitz deportiert. Über ihr weiteres Schicksal wisse man nichts, so Siegfried Birkholz vom SPD-Ortsverband Werder: „Dort gibt es nur einen Eintrag mit ihrem Namen.“ Sichtlich ergriffen lauschen die drei ehemaligen Schüler des Heims dem Musiker Hannes Immelmann. Zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus spielt er die musikalische Variante des Kaddisch-Gebets, dem jüdischen Gebet für die Verstorbenen.
Sechs Millionen ermordete Juden seien eine sehr abstrakte Zahl, erklärt Karin Weiss, Professorin für Sozialwesen an der Fachhochschule Potsdam. Vor zehn Jahren hat sie mit ihren Studenten begonnen, die Geschichte des Landschulheims zu rekonstruieren: „Die Studenten sollten herausfinden, was hier um die Ecke passiert ist.“, sagte Weiss. Das sehen auch Katrin Schneider, Geschichtslehrerin an der Oberschule Wilhelmshorst und die SPD-Landtagsabgeordnete Susanne Melior als Schirmherrin des Projekts so. Gemeinsam haben sie die Ausstellung vorbereitet. Vier ihrer Schülerinnen konnte Katrin Schneider für die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe Regionalgeschichte begeistern. „Es wäre schön, wenn die Ausstellung und das persönliche Schicksal der Betroffenen aus der Umgebung auch in den Geschichtsunterricht einfließt“, wünscht sich Melior. Die Ausstellung kann, nach vorheriger Anmeldung unter Tel. (033205) 62295, noch bis 20. Juni besucht werden.
Sebastian Gülde
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