zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Den Großbauern vor dem Zuchthaus bewahrt

Fritz Garmatter wurde vor 55 Jahren in Neu-Töplitz enteignet / Sein Fall zeugt auch von politischem Mut

Stand:

Es ist eine Geschichte über DDR-Unrecht – und über Zivilcourage, die Schlimmeres verhindern konnte. 268 Jahre lang bewirtschaftete die aus dem Berner Oberland stammende Familie Garmatter ihren Bauernhof in Neu-Töplitz, bis zur dramatischen Enteignung 1953. Der heute 71-jährige Wilhelm Garmatter sieht sie als Spätfolge des Naziregimes – und des anschließenden SED-Unrechts. Dass sein Vater Fritz Garmatter nicht auch noch acht Jahre im Zuchthaus saß, ist einer Sitzung des Töplitzer Gemeinderats vor 55 Jahren zu verdanken.

Am 10. März 1953 war der damals 53-jährige Großbauer Fritz Garmatter wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen auf seinem 88 Hektar großen Hof festgenommen worden. Er kam zur Untersuchungshaft nach Potsdam, weil er sein Ablieferungssoll nicht erfüllen konnte. Die SED-Führung hatte die Abgabemengen für landwirtschaftliche Erzeugnisse zuvor ständig erhöht, bis die Bauern nicht mehr nachkamen. Schon 1950 war Garmatter von SED-Funktionären und der Polizei deshalb in Werder für mehrere Stunden in einen hüfthoch mit eiskaltem Wasser gefüllten Keller gestellt worden, kurz darauf wurde er 14 Tage eingesperrt.

Die noch privat wirtschaftenden Bauern sollten mürbe gemacht werden, ihre Höfe für wenig Geld in die neue LPG „Klement Gottwald“ einbringen. Widerstand wurde bestraft, Fritz Garmatter wurde am 8. Juni 1953 vom Kreisgericht Potsdam-Land zu acht Jahren Zuchthaus und Einziehung des Vermögens verurteilt. Töplitzer Bürger protestierten. Ein Dokument, das von ihrem Mut zeugt, befindet sich im Brandenburgischen Staatsarchiv.

Es handelt sich um eine Aktennotiz über die Gemeinderatssitzung am 2. Juli 1953 mit 100 Gästen. Es wurde „von Seiten der Bevölkerung und der Gemeindevertretung der dringende Wunsch geäußert, das gegen den Großbauern Fritz Garmatter gefällte Urteil einer Überprüfung zu unterziehen“, heißt es darin. Garmatters Bestrafung sei unverständlich – ein zuverlässiger Bauer, der seinen Verpflichtungen nachkam. Dem Neu-Töplitzer Gemeinderat sei bekannt, dass er „in der Vergangenheit berechtigte Kritik an Mängeln geäußert hat und die bei Beachtung der staatlichen Organe zur rechtzeitigen Abstellung hätten führen müssen“. Vor Gericht hatten Gemeinderatsmitglieder am 8. Juni kein Rederecht bekommen.

Die mutige Aktion hatte für Garmatter durchschlagenden Erfolg. Vier Tage später wurde das Gerichtsverfahren in der Berufungsinstanz eingestellt, sieben Tage später war er frei. Seine Frau Luise und die vier Kinder kehrten aus Bochum – wohin sie nach der Verhaftung des Familienoberhaupts geflüchtet waren – zurück. Sie hofften, ihren Hof zurückzuerhalten. Das Presseamt des Ministerpräsidenten hatte in den Brandenburgischen Neuesten Nachrichten im Juni 1953 derlei Hoffnungen genährt: Wegen nicht erfülltem Abgabesoll enteignete Bauern sollten ihr Höfe zurückbekommen.

Ein Trugschluss: Die sechsköpfige Familie musste in das kleine Haus zu den Eltern von Luise Garmatter in der Leester Straße. Wenige Monate später flüchteten sie endgültig, fanden schließlich 1956 in Kirchberg an der Jagst (Baden-Württemberg) Hof und Heimat. Der Rechtsanwalt der Familie hatte zuvor gewarnt, dass Fritz Garmatter schon wieder von staatlichen Stellen beobachtet werde.

Fritz Garmatter starb 1992, seine Frau Luise 1999. Den Hof in Neu-Töplitz hatten sie 1990 erstmals wieder betreten. Der heruntergekommene Anblick machte sie traurig und wütend. Nach der Wende hat die Familie ihr Eigentum zurückerhalten. Die Hofstelle verkaufte Wilhelm Garmatter später an einen Pferdehofbesitzer. Die 85 Hektar Land sind an zwei Landwirte aus Töplitz verpachtet, die Kühe halten.

Unser Autor ist der Sohn von Wilhelm Garmatter. Fritz und Luise Garmatter sind seine Großeltern. Ralf Garmatter wohnt in Kirchberg und arbeitet als Journalist.

Ralf Garmatter

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })