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Von Peter Könnicke: Der Aufklärungsflug

Eine Silvestergeschichte, wie sie nie stattfinden oder von der man nie erfahren würde

Stand:

Thomas Schmidt schaute aus dem Fenster. Schnee, nichts als Schnee. „Das wird nie was“, murmelte er vor sich hin. Es hatte seit Stunden ununterbrochen geschneit. Die Rollbahnen waren unter einem Schneeteppich verschwunden. Wie weiße Geister zeichneten sich die Umrisse der Flugzeuge in die Nacht. Die Scheinwerfer der Räumfahrzeuge tanzten durch die Dunkelheit. Es blieben zwei Stunden bis zum neuen Jahr.

Schmidt und Grubert saßen in der VIP-Lounge der „Happy Wings Airline“ auf dem Flughafen Schönefeld. Sie sahen mitgenommen und müde aus. „Noch etwas Sekt?“, flötete die junge Dame in dem grünem Kostüm. „Och, ja“, meinte Schmidt. Grubert schüttelte den Kopf. Die Airline hatte einen DJ in die VIP-Lounge gekarrt, der gerade eine langsame Runde spielte. „Take this broken wings“, hörte Grubert. „Ist ja makaber“, dachte er. Vor dem Buffet drehten sich zwei Tanzpaare, in den Sesseln hatten Männer in schicken Anzügen ihre Beine ungeniert von sich gestreckt, auf den Stühlen saßen adrette Damen in High Heels.

Es war Ende November, als Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert in seiner Geschäftspost einen Brief von der „Happy Wings“ fand. „Herrn Bürgermeister Grubert höchstpersönlich“, stand auf dem Kuvert.

„Lieber Herr Bürgermeister, die Diskussionen um die Flugrouten für den Flughafen Berlin Brandenburg International sorgen anhaltend für Irritationen. Wir möchten bei Ihnen, dessen Wort und Meinung Gewicht hat, für mehr Klarheit sorgen und laden Sie – erlauben Sie uns dieses saloppe Wortgeplänkel – zu einem Aufklärungsflug ein. Erleben Sie den Jahreswechsel als himmlisches Vergnügen. Lassen Sie sich an Bord unserer Boeing 747 verwöhnen und nutzen Sie die Gelegenheit, sich in entspannter Atmosphäre über die Vorzüge des nächtlichen Fliegens zu informieren.“

Es war eine Einladung, am 31. Dezember mit „Happy Wings“ nach Mallorca zu fliegen. Man würde den Neujahrstag in Palma verbringen, in einem luxuriösen Hotel übernachten und am 2. Januar zurückfliegen. Grubert hatte den Brief zunächst für einen Scherz gehalten, bis ihn sein Teltower Kollege Schmidt anrief.

„Hast du auch Post von ,Happy Wings’ gekriegt?“

Grubert stellte sich ahnungslos. „Nö. Ich hab heut noch keine Post gemacht.“

„Mach mal“, drängelte Schmidt. „Die wollen mit uns nach Mallorca fliegen, als Wi Ei Piiis“, sagte er.

Grubert stellte sich blöd: „Wie, nach Mallorca?“

„Schau in die Post!“, befahl Schmidt.

Seit vier Stunden waren sie hier. Sie waren in der VIP-Lounge vom „Happy Wings“-Chef persönlich empfangen worden, es gab zunächst Häppchen und Sekt, später ein mediterranes Buffet. Der Airline-Chef hatte eine knackige Rede gehalten über die Zukunft und Chancen der Passagierluftfahrt und deren Wegbereiter von Lilienthal bis „... zu ihnen meinen Herren“. Ja, das hatte er tatsächlich gesagt und sie „Pioniere “ genannt.

Noch am gleichen Tag, als Grubert und Schmidt die Einladung empfangen hatten, saßen sie im Büro ihres Stahnsdorfer Kollegen Bernd Albers. „Was machen wir?“, hatte Albers gefragt. „Ignorieren?“

„Zumindest müssten wir absagen“, sagte Schmidt. „Obwohl es schon toll wäre – so unter Palmen am Neujahrsmorgen.“ Grubert schüttelte den Kopf: „Nee, so toll ist das da auch nicht im Januar. Wenn du Pech hast, ist es arschkalt und windig.“

„Immer noch besser als der olle Schnee hier“, erwiderte Schmidt. „Und es gibt Meer!“

Grubert blieb skeptisch: „Trotzdem, da ist um die Zeit tote Hose.“

„Und wir wären Sonntag zurück und Montag wieder im Büro“, bohrte Schmidt weiter.

„Verrat“, rief Albers und ballte die Faust. „Das wäre Verrat!“

„Du bist ihr nicht auf ne Demo“, dachte Schmidt, während sich Albers ereiferte: Man könne nicht wochenlang gegen Schönefeld, Flugrouten und Nachtflüge hetzen, und dann in einem Gratis-Mitternachtsflug nach Mallorca jetten. Das wäre das gleiche wie damals, als sie sich in Teltow von so einem amerikanischen Milliardär haben einladen lassen, nach Amerika zu fliegen, weil der Ami glaubte, so leichter in Teltow ein komplett neues Stadtviertel bauen zu dürfen.

„Erstens“, erwiderte Schmidt und reckte den Daumen hoch, „war das ein Kanadier und es ging nach Kanada.“ Er machte eine Pause und nickte bekräftigend in die Runde. „Und zweitens“, - der Zeigefinger schnellte bedrohlich in Richtung Albers, „und zweitens ist das Projekt ja wohl grandios gescheitert. Der Typ ist pleite.“ Es folgte eine kurze Pause. „Und drittens war ich damals nicht dabei.“

„Ich hab’s“, rief Grubert. Albers zuckte zusammen. „Wir machen eine verdeckte Ermittlung,“ rief Grubert. Albers und Schmidt machten große Augen: „Hä?“

„Also“, sagte Grubert, „nur mal angenommen, wir sagen zu und fliegen mit. Dann können wir an Ort und Stelle auf dem Flughafen aufdecken, wie sinnlos und bescheuert Nachtflüge sind, weil da keine Sau fliegt. Wir können den Lärm messen und von oben fotografieren, wie tief wir fliegen. Wir könnten rausfinden, wie schlecht die Öko-Bilanz bei Nachtbetrieb ist, weil da Tausende Lampen an sind und ein Haufen Strom gebraucht wird für Schalter und Knöpfe, Gepäckbänder, Rolltreppen, Drehtüren, Nacktscanner, Kaffeeautomaten und so. Und dann können wir bei der nächsten Demo erzählen, was wirklich Sache ist und es wird niemals Nachtflüge geben.“ Grubert schaute seine beiden Kollegen an. „Na?“

„Undercover also?“, fragte Schmidt.

„Genau“, sagte Grubert. „Undercover.“

„Schaffen wir gar nicht, alle Laternen zu zählen“, sinnierte Albers.

Es war kurz nach 23 Uhr als Grubert einen müden Blick durch die VIP-Lounge streifen ließ und stöhnte: „Ich kann nicht mehr.“ Er überlegte, ein Taxi zu rufen und nach Hause zu fahren. Er würde noch pünktlich vor Mitternacht da sein. Er würde auf die Straße gehen, ein paar Knaller und Böller werfen, einige Raketen in den Himmel schießen. Vor allem würden ihn die Nachbarn sehen, was nicht schlecht wäre.

„Nee, warte mal“, sagte Schmidt. „Die kriegen das hin. Wir fliegen. Das ist denen wichtig.“

„Ich weiß nicht, es ist wahrscheinlich sowieso nicht gut, wenn wir mitfliegen“, meinte Grubert. Weichei, dachte Schmidt: „Warum sollen wir uns das jetzt nicht gönnen – so nach getaner Arbeit.“

Grubert zauderte: „Ja, aber man weiß ja wie das läuft. Die behaupten, alles sei unverbindlich und ohne Verpflichtungen und so, aber insgeheim, sag ich mal, erwarten die schon eine Gegenleistung.“

Schmidt neigte den Kopf leicht zur Seite und kniff das rechte Auge zusammen. „Meinste wirklich?“

„Klar, überleg doch mal: Business-Klasse, Champus, Lachs und Kaviar, Malle – das kriegste nicht für umsonst.“

„Von Lachs und Kaviar hab ich nichts gelesen.“

„Gibt''s da aber, wirste sehen!“

In diesem Moment trat der „Happy Wings“-Chef an den DJ-Pult, nahm das Mikrofon und sagte. „Meine Damen und Herren, es tut mir leid, wir schaffen es nicht. Das ist zuviel Schnee da draußen. Aber Mallorca wird nicht untergehen, wir holen das nach. Und damit sie nicht umsonst gekommen sind, lade ich alle, die Interesse haben, in unseren Flugsimulator ein. Sie können punkt Zwölf die Kiste so richtig hochziehen.“

„Mist“, zischte Schmidt und fragte Grubert: „Was hast du?“

„Eigentlich ne ganze Menge. Eben nur keinen Lärm und keine Fotos. Und du?“

„Naja“, sagte Schmidt, „die haben hier gar keinen Nacktscanner.“

Grubert winkte mit beiden Armen Richtung Airline-Boss: „Hallo, Chef, ist das auch echt mit dem Simulator? Also so wie in Wirklichkeit mit dem ganzen Krach und so?“

„Klar, das ist total real“, meinte der Airline-Chef.

„Dann komm ich mit“, erwiderte Grubert.

„Ich auch“, rief Schmidt.

Und gerade als er fragen wollte, wo eigentlich Kollege Albers ist, kam der mit blauen Lippen und schneeweißem Haar zur Tür herein.

„Alles klar“, rief er. „Es sind 1763 Laternen da draußen.“

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