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Nachgeschaut. Besucher sehen auf dem Handy Informationen zu den Toten.

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Potsdam-Mittelmark: Der Friedhof auf dem Smartphone

Mit einer Friedhofs-App können Besucher ab sofort den Stahnsdorfer Südwestkirchhof erkunden

Von Eva Schmid

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Stahnsdorf - Wer auf dem Südwestkirchhof sein Handy zückt und vor monumentalen Gräbern versunken auf seinen Bildschirm starrt, ist weder ignorant noch gelangweilt. Im Gegenteil: Eine neue Friedhofs-App, die ab heute freigeschaltet ist, gibt Besuchern mit Smartphone oder Tablet-Computer die Möglichkeit, den Südwestkirchhof mithilfe moderner Technologie zu erkunden.

Ein Klick und schon kennt man die Geschichte des Verstorbenen, der vor einem begraben liegt. Eine Wischbewegung mit dem Zeigefinger, und man hat ein Bild des Verstobenen aus jungen Jahren vor sich, auch Original-Tonaufnahmen kann man abrufen. „Unser Ziel ist es, ein neues Publikum für die Friedhofskultur zu gewinnen“, sagt der Leiter des Stahnsdorfer Südwestkirchhofs, Olaf Ihlefeldt. Er meint damit junge Menschen ab 20 Jahren, die egal zu welcher Tageszeit, auf eigene Faust den 206 Hektar großen Friedhof mit seinen imposanten Mausoleen, verwunschenen Grabstätten und bedeutenden Persönlichkeiten, die dort begraben sind, erkunden können. Ihlefeldt kann verstehen, dass jüngere Leute keine Lust auf lange Führung haben.

Zudem sei die App ideal, um sich auf den Friedhofsbesuch vorzubereiten. „Man weiß sofort, was auf einen zukommt.“ So wüsste man zum Beispiel, ob der Komponist Engelbert Humperdinck in einem Mausoleum begraben ist oder nur eine kleine Tafel auf seine Ruhestätte hinweist. Was man jedoch nicht weiß: Wie man zu den Gräbern kommt – die App hat keine Navigationsfunktion. „Das macht den Reiz aus“, sagt Ihlefeldt. Wer sich orientieren will, muss den Lageplan auf der Friedhofs-Webseite herunterladen oder sich auf eigene Faust durchschlagen. „Nur so entdeckt man per Zufall Gräber und Skulpturen, die einem sonst nie aufgefallen wären.“

Das mobile Angebot gab es für den Südwestkirchhof gratis: Die App www.wo-sie-ruhen.de ist ein bundesweites Projekt der Stiftung für historische Kirchhöfe und Friedhöfe Berlin-Brandenburg. Auch der Bornstedter Friedhof in Potsdam ist in der App gelistet. Die Stiftung hat rund anderthalb Jahre lang 1007 Gräber und die Geschichte ihrer Verstorbenen auf insgesamt 37 historisch bedeutenden Friedhöfen Deutschlands untersucht. Herausgekommen sind kleine Kurzporträts, die auf einem audio-virtuellen Rundgang abgerufen werden können.

Eher unbekannte und überraschende Lebensläufe sollen in der App erzählt werden. In Stahnsdorf sind daher nicht nur die prominentesten unter den Verstorbenen in die App aufgenommen worden. „Wir haben auch jene ausgesucht, die durch ihre Werke, ihre Entdeckungen oder ihre Genialität bekannt wurden“, so der Friedhofsverwalter. Wer über verschlungene Pfade den Weg zum Grab von Max Jordan findet, der wird in seinem Kurzporträt lesen, dass Jordan der Begründer der Berliner Nationalgalerie ist. Ein paar Gräber weiter liegt Emil Krebs begraben, sein Name ist vielen unbekannt. Doch der Sinologe konnte schier Unglaubliches: Er beherrschte 68 Sprachen in Wort und Schrift. Noch heute wird sein Gehirn, das zu Forschungszwecken nach seinem Tod herausgenommen wurde, untersucht. Auch das Grab von Carl Ludwig Schleich hat Ihlefeldt in die Liste aufnehmen lassen. „Jedes Mal wenn ich bei ihm vorbeikomme, bin ich ihm dankbar“, sagt der Friedhofsverwalter. Denn dank Schleich ist das Leiden beim Zahnarzt auf ein Minimum reduziert worden: Schleich ist der Erfinder der Lokalanästhesie. Bisher stellt der Südwestkirchhof 29 Grabstätten in der App vor, für bis zu 40 wäre Platz.

Der Idee einer Friedhofs-App stand Ihlefeldt anfangs skeptisch gegenüber: „Wir haben 2007 als einer der ersten Friedhöfe in Deutschland einen Audioguide eingeführt.“ Ihlefeldt hatte Sorge, dass sich die Audio-Führung zu sehr mit dem Inhalt der App doppelt. Doch jedes Medium habe seine Vor- und Nachteile und seine Zielgruppe. Die App biete im Gegensatz zum Audioguide Bilder, ganz einfach könnten neue Grabstätten in die Liste mit aufgenommen, andere gestrichen werden. Beim Audioguide würde die Umstellung des Programms aufwendig und teuer sein. Zudem könne er nur zu den Öffnungszeiten der Verwaltung an die Besucher herausgegeben werden. Für die ältere Generation sei der Guide eine gute Variante, außerdem gibt es ihn auch auf Englisch.

Auch hat der Audioguide keine Probleme mit der Netzabdeckung. Wer mit dem Smartphone auf dem Südwestkirchhof unterwegs ist, der muss damit rechnen, dass plötzlich die Internetverbindung weg ist. Für die App hat der Friedhofsverwalter die Gräber deshalb nicht nur nach ihrer Geschichte, sondern auch nach der besten Netzabdeckung ausgesucht.

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