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Von Henry Klix: Der Obstbau im Rückwärtsgang

Die Obstanbaufläche des Landes hat sich 2007 dramatisch verkleinert / Der Trend birgt im Werderaner Gebiet auch Chancen

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Werder (Havel) - Drei Kinder hat Hans Eckert großgezogen, doch in seine Fußstapfen treten wollten sie nicht. Der Obstbauer nennt mehrere Gründe dafür, dass sein Werderaner Obstbaubetrieb in den nächsten drei Jahren auf Null zurückgefahren wird: Die Plantagen sind veraltet, die Kirschbäume teils über 40 Jahre alt – schmackhafte aber etwas kleinere Sorten, die heute nicht so gut zu verkaufen sind. Schon jetzt bewirtschaftet Eckert nur noch fünf seiner ehemals zwanzig Hektar. Das Geld für eine Erneuerung der Anbauflächen ist nicht da, der Absatz beim Großhandel seit Jahren nicht mehr attraktiv. Und mit der Direktvermarktung auf den Märkten der Region kann man sich mehr schlecht als recht über Wasser halten.

Hans Eckerts Betrieb ist nicht der erste, der eingestellt wird. Der Obsthof Polz besteht sei einem Jahr nicht mehr, und auch Schulze/Schröder hat seine Pachtverträge gekündigt. Viele der mit der Treuhand geschlossenen Verträge laufen derzeit aus, die Pachten werden steigen mit den neuen Verträgen – eine Entwicklung, die auch beim Landesgartenbauverband sorgenvoll beobachtet wird. Vielleicht sei dies eine der Ursachen, dass im vorigen Jahr die Obstbanbaufläche im Land um fast 600 Hektar von 3330 auf 2785 Hektar gesunken ist, sagt Verbandssprecherin Margarete Löffler. Vierzehn Obstbaubetriebe zählt der Gartenbauverband noch im Werderaner Raum. Und wenn man dem Flurgeflüster Glauben schenken will, gibt es weitere Schließungskandidaten.

Wird die Werdersche Obstflur bald nur noch auf Postkarten abgebildet sein? Der Geschäftsführer des Werderaner Obstzüchterverbandes Stefan Lindicke sieht in den jüngsten Betriebsschließungen tatsächlich einen ernst zu nehmenden Trend. „Wir haben in vielen Betrieben eine kritische Altersstruktur“, sagt Lindicke. Wer Anfang 50 ist, bekomme kaum einen Bankkredit über 200 000 Euro, um seine Sortenstruktur zu verbessern. Und die Frage nach den Nachfolgern ist nur bei wenigen Obstbauern beantwortet. Der 35-Jährige Stefan Lindicke, der mit einer gehörigen Portion Enthusiasmus an einer 300-jährigen Familientradition festhält, ist selbst eher die Ausnahme hier.

Obwohl die Böden dafür eher ungeeignet sind, beobachtet der Obstbaumeister, dass sich immer mehr Ackerbauern auf den aufgegeben Pachtflächen breitmachen – aus seiner Sicht aus einem Grund: „Sie wollen die Förderprämie kassieren.“ Sie ist mit 274 Euro pro Hektar weit höher als die 50 Euro, die die Obstbauern für den kontrollierten Anbau mit einem Minimum an Pflanzenschutzmitteln bekommen. Für die Obstbauern sei es auch deshalb kaum attraktiv, ihre meist um die 10 bis 20 Hektar großen Familienbetriebe zu vergrößern: Leute müssten zusätzlich eingestellt werden, die Erträge ließen sich nicht mehr durch die Betriebe selbst vermarkten. „Mehr Arbeit, viel Trödel – und die Großhandelspreise lohnen nicht“, sagt Lindicke. Für ihn fährt der Obstbau im Rückwärtsgang.

Wie es weitergeht? Obstbauern wie Stefan Lindicke verfolgen mit Interesse, wie sich die Havelfrucht GmbH entwickelt. Obstbaumeister Thomas Giese, die vierte Generation einer Obstbauernfamilie, will sich mit dem Unternehmen eine Zukunft aufbauen – und hat dazu den Weg der Direktvermarkter verlassen. Vor gut vier Jahren hatte er begonnen, in großem Stil Obstbauflächen zu pachten, auch die von Polz, Schulze/Schröder und Hans Eckert. Über 300 Hektar Anbaufläche bewirtschaftet Giese inzwischen, 160 davon mit Obst. Nur Bergers Hof erreicht im Werderschen noch eine ähnliche Größe.

Obstbau – organisiert wie der Ackerbau in Mecklenburg-Vorpommern? „Wir sind noch in der Konsolidierungsphase, aber es läuft“, sagt Thomas Giese. Handarbeit ist bei dieser Flächengröße kaum noch angesagt, der 35-Jährige beschäftigt dennoch zehn festangestellte Mitarbeiter, einen Lehrling und 250 bis 300 Saisonarbeitskräfte. Um die Direktvermarktung mag er sich nicht kümmern, zweigleisig zu fahren gehe nicht. Giese verkauft seine Erträge auf dem Glindower Erzeugermarkt und vor allem bei den Vermarktern Werder-Frucht und Fruchtexpress, die die Supermärkte beliefern.

Die Großhandelspreise könnten besser sein, aber Giese beklagt sich nicht laut. „Ich habe gute Partner.“ Natürlich ist er von denselben Problemen geplagt wie seine Kollegen – ob die kipplige Situation bei der Brauchwasserversorgung, ob die zuverlässigen Saisonarbeiter aus Polen, die nicht mehr zu den alten Löhnen kommen, ob die hohen Investitionskosten für neue Sortenstrukturen oder die Auflagen beim Pflanzenschutz, die die Bekämpfung der Kirschfruchfliege und des Apfelwicklers immer schwieriger machen. Doch der Bedarf nach frischen einheimischen Produkten sei ungebrochen, und deshalb sieht Giese sogar noch Expansionsmöglichkeiten für seine Firma. Allerdings will er mit seinen Flächen nicht auch die Wahrheit gepachtet haben. „Man muss sehen, welchen Weg man geht.“

Obstbauer Hans Eckert denkt, dass es der richtige ist. Er hat die Entwicklung des hiesigen Obstbaus seit 46 Jahren aktiv verfolgt. Drei bis höchstens sechs Obstbaulehrlinge im Jahr hat er als Mitglied im Landesprüfungsausschuss pro Jahr noch zu prüfen. In den 80er Jahren seien es in der genossenschaftlichen GPG Obstproduktion fast 40 gewesen. „Wir stehen heute im Werderaner Raum vor derselben Frage wie in den 60er Jahren“, ist der 62-jährige Obstbauer, der auch als Linker Stadtverordneter bekannt ist, überzeugt.

„Kleinbetrieben fehlt der Investitionsspielraum, und sie werden zugeschüttet mit Bürokratie.“ Größere Unternehmen hingegen könnten aus seiner Sicht mehr Schlagkraft entwickeln und ihre Anbaukulturen jedes Jahr auf den neuesten Stand bringen. „Wer 3000 Tonnen Äpfel bieten kann, ist eine wirtschaftliche Macht.“ Ein Werderaner Familienbetrieb bringt es vielleicht auf drei Tonnen – für Eckert eine Folge einer gescheiterten Förderpolitik nach der Wende. Zurück also zum agrarindustriellen Komplex der DDR? Für den 62-jährigen, vor dem Ruhestand stehenden Gartenbauingenieur ist es nicht so abwegig. Thomas Giese würde es so beschreiben: „Ich konzentriere mich voll auf die Produktion.“

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