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Potsdam-Mittelmark: „Der Schlamm ist mein Eigentum“

Seit sieben Jahren klagt Paul Knake gegen eine Gebühr von 90 Euro für eine – längst trockene – Klärgrube

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Nuthetal - Die Tomaten waren knallig rot, die Gurken satt grün und der Rasen eine Augenweide. Paul Knake war stolz auf seine Gartenpracht, und das Erfolgsrezept seiner blühenden Wirtschaft ist uralt: Naturdung. 30 Jahre lang hat Knake Abwasser in eine Sickergrube auf seinem Grundstück geleitet – eine 4-Kammerkläranlage von Schreiber, westdeutsches Patent. Knake verlegte eine Dränageleitung unter seinen Garten und ließ das geklärte Wasser als „hochwertigen Dünger“ versinkern. Nach diesem Prinzip wurde Gärten in der ganzen Republik gedüngt.

Nach der Wende wurde der Lauf des Wasser neu geregelt. Zweckverbände wurden gegründet, zentrale Kanalisationsanlagen, Klärwerke und Fäkalannahmestationen gebaut. Eine Zeit wie im Goldrausch: Für kleine Dörfer wurden riesige Abwasseranlagen projektiert, finanziert und realisiert. Mancherorts folgte schnell das böse Erwachen, als die stattliche Kläranlage zur Schuldenfalle geriet. Nach Schätzungen der Linkspartei.PDS drückt die märkischen Abwasserzweckverbände noch immer eine Schuldenlast von 1,5 Milliarden Euro.

Für Bergholz-Rehbrücke und die Nachbargemeinden wurde der Wasser- und Abwasserzweckverband „Mittelgraben“ (WAZV) gegründet. Auch der baute: eine neue Fäkalannahmestation in Saarmund und ein zentrales Leitungsnetz. Und er verlangte für die Gruben, wie Paul Knake sie auf seinem Grundstück hat, plötzlich Grundgebühren. 90 Euro im Jahr sollte er zahlen für die Entsorgung des Klärschlamms in der neuen Saarmunder Anlage. Doch Knake wollte das gar nicht. „Der Schlamm ist mein Eigentum“, reklamierte er. „Ich entscheide persönlich, was damit passiert.“

Der Gärtner wurde zum Kläger. Es gründete sich ein „Interessenverein für Wasser und Abwasser“, der zeitweilig bis zu 120 Mitglieder zählte. 60 Grubenbesitzer aus Nuthetal und Michendorf zogen vor Gericht.

Die Grubengebühr, so Knakes Vorwurf, soll nur die Fehlbeträge des Verbandes ausgleichen. Denn dieser habe sich beim Bau der Abwasserleitung von Michendorf nach Stahnsdorf kräftig übernommen. Die Leitung, so Knake als einstiger Installateur mit fachmännischen Blick, sei völlig überdimensioniert. Sie habe eine Kapazität für 100 000 Einwohner, doch leben im Verbandsgebiet lediglich 19 000 Menschen. Die Rechnung für die angebliche Fehlplanung soll „wie immer der kleine Mann“ zahlen. Auch dass der Schlamm in Saarmund entsorgt werden sollte, sah Knake nicht ein. Er können seine Grube leeren lassen, wann und vom wem er wolle. Diese Wahlfreiheit erlaube ihm das EU-Recht.

Seit sieben Jahren streitet der 72-Jährige gegen die vermeintliche Unrechtmäßigkeit. Zwar ist die alte Schreiber-Grube lange trocken, denn längst ist Knakes Haus ans zentrale Abwassernetz angeschlossen – den Anschlusszwang geißelt er als „staatliches Raubrittertum“. Doch ist die Sache noch immer ungeklärt. Vor vier Jahren war man kurz vor einem klärenden Richterspruch. Doch wurde ein Urteil in einem Musterprozess „im letzten Moment“ verhindert, weil der WAZV die strittigen Gebührenbescheide zurückzog. Drei Monate später allerdings schrieb er sie neu. Und wieder wurde geklagt.

Vor wenigen Tagen, Mitte Januar, einigten sich bei einer Anhörung am Potsdamer Verwaltungsgericht die meisten Kläger zähneknirschend auf einen Vergleich: Sie ziehen ihre Klagen zurück, im Gegenzug gewährt der WAZV einen Preisnachlass von 20 Prozent auf die Grubengebühr und übernimmt die Gerichtskosten. Knake indes knickte nicht ein. „Die rechnen mit unserem Ableben, aber ich werde noch ein bisschen streiten“, kündigt er an. Einen Anwalt hat er nicht. Das Unrecht liege so klar auf der Hand, da braucht er keinen Rechtsexperten. Seine Klageschriften schreibt und begründet er selbst, das ganze Material füllt inzwischen mehrere Aktenordner.

Vor zwei Wochen wurde am Verwaltungsgericht ein Urteil gefällt: Knakes Klage ist begründet, die Bescheide wurden für ungültig erklärt. Doch hilft der Richterspruch in der eigentlichen Sache keinen Schritt weiter, weil sich das Gericht mit Materie erst gar nicht befasst hat. Denn: Die Satzung mit den strittigen Gebührenbescheide ist ungültig. Mal ist sie mit einem „irreführenden Inhaltsverzeichnis“ fehlerhaft veröffentlicht worden, mal ist zu jener Verbandsversammlung nicht korrekt eingeladen worden, in der Fehler geheilt und die Satzung neu beschlossen werden sollte. Auf den Einladungen in den Schaukästen fehlten die Unterschriften. Nun soll auf der Verbandsversammlung im März die Satzung erneut beschlossen werden. „Danach werden wir neue Bescheide versenden“, kündigt Martin Rahn von der Mittemärkischen Wasser- und Abwasser GmbH an, die die Geschäfte für den „Mittelgraben“ führt. Knakes Reaktion: „Dann wird es eine neue Klage geben.“

Rechtlich scheint der Spielraum allerdings begrenzt. Das Gericht hat bereits darauf hingewiesen, dass sowohl die Grundgebühr wie auch dessen Höhe berechtigt und angemessen seien. Politisch hingegen hat vor allem die Linkspartei.PDS die Abwasserentsorgung als Schlachtfeld entdeckt. Im Landtag und auf öffentlichen Podiumsdebatten propagieren die Genossen ein Ende der Zwangsanschlüsse ans zentrale Abwassernetz. „Anschlüsse sollen nur noch auf freiwilliger Basis erfolgen“, fordert Renate Adolph, Sprecherin für Verbraucherschutz der PDS-Landtagsfraktion. Unter dem „Deckmantel des Solidarprinzips“ hätte der Anschluss- und Benutzerzwang zu einer gesamtgesellschaftlichen Belastung geführt. So gebe es in Brandenburg die bundesweit höchsten Abwassergebühren, allein in diesem Jahr gibt das Land 30 Millionen Euro aus, um Zweckverbände bei Investitionen und Schuldenmanagement zu unterstützen. Doch statt neue Leitungen zu bauen, die in vereinsamten Dörfern ohnehin nicht mehr gebraucht würden, sollte vielmehr der Rückbau überdimensionierter Anlagen gefördert werden, so Adolph. Statt Abwasser durch üppige Kanalnetze zu pumpen, sollte es „ortsnah“ aufbereitet werden. Und: „Jeder soll für sein Grundstück selbst entscheiden, wie er Klärwasser entsorgt“, befindet die PDS-Politikerin.

Paul Knake wüsste schon, wie er das macht. Sein Rasen wäre dann wieder grün.

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