Potsdam-Mittelmark: Der Wahrheit vertraut
Erfolgreiches Debüt der „Kleinen Bühne Wilhelmshorst“ mit drei Einaktern
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Michendorf · Wilhelmshorst – Vielleicht erinnerten sich einige Leute der „amtsfreien Gemeinde“ Michendorf noch jener Tage, als es in der Nachbarschaft zwischen 1976 und 1985 schon mal eine Laienbühne gab. Vielleicht war man deshalb etwas zögerlich, die vom örtlichen Kulturbund neu begründete „Kleine Bühne Wilhelmshorst“ mit Mut und Mitteln zu unterstützen. Als die Verwaltung aber sah, dass diese so spielfreudige wie disziplinierte Truppe tatsächlich etwas auf die Beine brachte, durfte diese einmal wöchentlich ohne Miete im „Apfelbaum“ proben, zuletzt täglich. Man stellte sogar außerhalb des Etats Geld für die Beleuchtung zur Verfügung.
Aber auch ein 100-jähriges Ortsjubiläum geht irgendwann vorbei. Dann kann das Zutun ferne sein, dann lässt sich zwar schnell sagen, „wir müssen selber für uns sorgen“, aber welche Bühne könnte das in diesen von Passivität und Eigennutz so fest verschnürten Zeiten? Von der erklärten Absicht, ein kulturelles Signal zu setzen, bis zum selbstversorgenden Ziel wäre es ohnehin ein weiter Weg.
Regisseur Siegfried Patzer, ehemals „Off-Theater Kreuzberg“, ist es zuerst einmal gelungen, mit drei Einaktern neueren Stils ein homogenes Ensemble von erstaunlicher Ausstrahlung zu formen. Er möchte seinem Publikum das Gefühl geben, in ein „richtiges“ Theater zu kommen, darin gelacht und geweint wird, wo der „belehrende Zeigefinger“ eher versteckt bleibt. Er setzt auf Handwerk, wählt anspruchsvolle Texte, vertraut der „Wahrheit“ bedeutenden Bühne mit solchem Erfolg, dass auch die dritte und letzte Vorstellung von „Ein Theaterabend“ kürzlich geradezu umjubelt wurde.
Von Wahrheit handelt auch das erste Stück, ein sich grotesk gebender Einakter von Frank Thiess namens „Die Lüge“. „Er“ (Gernot Stoy) vermutet, dass „Sie“ (Karina Lehmann) nach fünfzehn Ehejahren einen Hausfreund hat, was sie bestreitet. Das Dialogstück ist bewusst offengehalten, aber die Regie wählte mehr die weibliche Optik, was „ihn“ leicht in die Defensive brachte. Am Ende dieser kurzen Eheszene will man sich trennen. Wer’s glaubt!, schon im nächsten Moment kann alles ganz anders sein.
Wie „Die Lüge“ zur Familie der „Ausstattungsstücke“ gehört, so die anderen beiden auch: „Wer war Mr. Hilary?“ stammt von James Saunders, einem der angloamerikanischen Autoren, welche Siegfried Patzer für Pläne in spe ohnehin favorisiert. Hier spielte die 80-jährige Wilhelmshorsterin Anna Katritzke als Frau Biest eine schrullige Engländerin mit doppeltem Boden: Jemand veröffentlicht einmal jährlich eine Todesanzeige ihres vor dreißig Jahren verstorbenen Mannes. Steckt vielleicht die knochige Frau Plack (Ilse Dressler) dahinter? Man stellt die Uhren falsch, handelt anders, als man redet, das Dienstmädchen Hilda (Ilka-Maria Pollock-Grau) gibt zudem Kommentare nach Stil des epischen Theaters. Eine anspruchsvoller, wenn auch nicht ganz durchgehaltener Inszenierungsstil voller Klippen für Publikum und Darsteller, aber sehr bühnenwirksam.
Das dritte Stück, Curt Goetzens „Minna Magdalena“, beruht auf einem Irrtum. Es ist eine Farce auf gutbürgerliche Moralnormen nach Vaudeville-Art: Das 16-jährige Dienstmädchen Minna (Jacqueline Fourny) soll einen Seitensprung gemacht haben, was Frau Professor (Marlies Hanowski feinherb) mehr als ihren Mann (Klaus-Dieter Becker) erzürnt. Ihr Vater aus dem benachbarten Langerwisch, ein schrotiger Kerl (Bernd Fourny) weichen Herzens, wird herbeizitiert, doch war alles ganz anders. Hübsch, kräftig gespielt, aber mit zu matter Pointe – die Bitte zum Publikum um Vergebung verlangt einen szenischen Paukenschlag.
Möge es weitergehen mit dieser Truppe, mögen Helfer und Sponsoren gefunden werden, damit der Regisseur nicht auch künftig Tausende aus eigener Tasche dazulegen muss. Der Anfang (hoffentlich) war sehr vielversprechend. Zum 100. von Wilhelmshorst geht es voran mit der Kultur in Michendorf!
Gerold Paul
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