KulTOUR: Der Wurm im Ohre
„Gräfin Mariza“: Mutige Operetteninszeniering im „Apfelbaum“
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Michendorf - Eine gut gemachte Operette aus Europa ist allemal besser das perfekteste Musical made in Übersee. Davon konnte man sich kürzlich wieder im „Apfelbaum“ zu Michendorf überzeugen. Die rührigen Veranstalter hatten ganz schön Mut, mit dem Berliner Ensemble „Azur“ auch die komplette „Gräfin Mariza“ einzukaufen, von Emmerich Kálmán (1882-1953) übrigens, was der Programmzettel zu erwähnen vergaß.
Das aber focht die mehr als fünfzig Besucher am Samstagnachmittag nicht an, sie kannten die Mär von der etwas leicht fertigen Gräfin und dem als Verwalter getarnten Grafen Tassilo, verarmter Adel aus Spielsucht. Liebe, Leidenschaft, gewaltige Ohrwürmer wie „Komm Zigan, spiel mir was vor“ oder „Komm mit nach Varazdin, solange noch die Rosen blühn“, dazu Csardas und Zigeuner garantierten den Erfolg, man freut sich über das Aufblühen und Funktionieren der Kultur in Michendorf.
Die Handlung ist schnell erzählt: Gräfin (Patricia Hewes Corry) kommt unerwartet auf ihr Landgut zurück. Um ihren vielen Bewerbern zu entgehen, hat sie eine Verlobung mit dem virtuellen Baron Koloman Zsupan (Maik Tödter, stimmgewaltiger Bariton) bekanntgegeben. Plötzlich steht dieser leibhaftig vor ihr. Längst aber ist sie in den Verwalter (Eugen Duvnjak) verliebt. Dass daraus nicht wird, besorgte sein Nebenbuhler Fürst Dragomir Populescu (Antoine Godor), bei „Azur“ tatsächlich eine Buffo-Figur ohne Stillstand.
Csardas ohne Zigeuner geht auch nicht, „Manja“ übernahm diesen Part mit leichtem Hüftschwung schlecht und recht. In der Nebenhandlung treffen sich mit Tassilo und Lisa (Dagmar Hoffman mit Soubrettenpart) Schwester und Bruder wieder, Lisa gleichfalls verarmt, er indes damit beschäftigt, ihr durch seiner Hände Arbeit eine Mitgift zu beschaffen. Er hat also begriffen, dass Arbeit erst adelt.
Rührend die Wiedersehensszene. Nach einiger Turbulenz und einer aufgegabelten Fürsten-Tante (Viktoria Lasaroff blass) als rettender Engel des Verwalter-Grafen finden sich die richtigen Paare zum Happyend: Mariza und Tassilo, Lisa und der schratige Baron, welcher gleichfalls zu den „Verarmten“ zählt.
Nähme man Kálmáns Operette von 1924 je ernst, so hätte man eine geradezu ätzende Parodie auf den heruntergekommenen Nachkriegsadel vor sich: Nachdem Tassilo von der Mariza entlassen wurde, sollen Dragomir („Komiker“ bei Kálmán) und Koloman ihn ersetzen, doch für sie ist Arbeit ein Fremdwort. Aber Herz und Schmerz sind ja auch sehr schön, und letztlich freut sich das Gemüt über jede Streicheleinheit. Kurz, Michendorf erlebte eine echte und auch gut gemachte Operette als Kulissenstück.
Abgesehen von einigen akustischen Problemen, die man im zweiten Akt abstellen konnte, hörte man gute bis sehr gute Stimmen, sah den trefflichen Einsatz des gesamten Ensembles. Die Operette als solche wurde ernst genommen, wie das Publikum auch. Vielleicht hätte man den Soubretten- und den Buffopart etwas mehr betonen sollen, den Reflex der Gräfin, als sie von der Leichtlebigkeit Tassilos erfuhr. Auch bei den Nebenfiguren wäre einiges zu vertiefen. Trotz solcher Feinheiten hat man zu loben, was da im Apfelbaume geschah. Zuletzt, beim Happy-End, stoben die Sänger wie ein Feuerwerk ins Publikum, um Rosen zu verteilen – „Komm mit nach Varazdin“ (was in Kroatien liegt) „solange noch die Rosen blüh“n“, bleibt dem Ohre lange als Wurm erhalten.
So viel Schmelz, so viel Herz – „Sag ja, mein Lieb!“, ach ja! Unbedingt ist das Arrangement zu preisen. Man wollte gar nicht glauben, daß der Pianist und musikalische Leiter Dmitri Pavlov, Berlin, den gesamten Orchesterpart so schlüssig auf drei Instrumente verteilte. Neben seinem kräftigen Tastengriff waren das Cello (Joachim Köhler, Brandenburger Symphoniker) für das Gemüt, die Geige von Philippe Perotto fürs Herz zuständig. Respekt, auch wenn es manchmal ein wenig nach Kaffeehaus klang, Wien war ja damals auch nicht sehr weit. Dank den Damen und Herren, den Grafen und Fürsten, Zigeunern und Dienern!
Nächste Veranstaltung am 3. 11.: Käthe Seelig und Eike Mewes stellen eigene Bücher vor, 15 Uhr
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