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Potsdam-Mittelmark: Die Blüte vor dem Blütenfest

Süßer Wein, Kuchen und Schmalzstulle: Am Osterwochenende wurde bereits die Baumblüte gefeiert

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Werder (Havel) - Weiße Blütentupfer auf Kirschbäumen, die ein leichter Windstoß zum Tanzen bringt. Im Hintergrund umarmt die Havel die Altstadt – Werder im Frühling ist ein Bilderbuch, in das man hineinspazieren kann.

Zu Ostern waren besonders viele Radler im märkischen Inselstädtchen unterwegs, einige strampelten sogar den Hohen Weg hinauf. Ihre Mühe wurde belohnt: Denn das Blütenfest begann in diesem Jahr bei einigen Obstbauern bereits am Ostersamstag. Schuld ist das warme Wetter, das die Natur in diesem Jahr zeitig auf Frühling umschalten ließ.

So öffnete der Stadtgarten vom Obsthof Lindicke gegenüber der Bismarckhöhe bereits am Mittag seine Tore. Am Gartenzaun reiht sich ein Fahrrad an das nächste. Die Tafel, auf der neun verschiedene Obstweinsorten angepriesen werden, ist verlockend, dazu Schmalzstullen, Kaffee und Kuchen.

Die meisten der durstigen Gäste greifen zum Kirschwein, dessen dunkelrote Farbe in der Sonne funkelt wie Rubine. Auch eine besondere Spezialität des Hauses, der Kirschsecco, wird aufgetischt – mit milder Süße prickelt das Getränk auf der Zunge. Und unter Kirschblüten schmeckt ein Stück Blechkuchen mit knusprigen Riesenstreuseln vom Werderaner Bäcker Kirstein besonders gut.

„Der macht auch die schönsten Torten“, schwärmt ein Werderaner Ehepaar, das die Blüte noch vor dem Baumblütenfest genießen will. Das offizielle Fest, in diesem Jahr in seiner135. Auflage, sei ein gewaltiger Rummel mit Fahrgeschäften und Bühnen. „Das muss man eine Woche lang überstehen, weil es Tradition ist.“ Ein Problem sei das Fest eigentlich nur für die Zugezogenen, „die sich regelmäßig über den Lärm beschweren“. Richtig genießen könne man es in den privaten Gärten, so ihr Rat.

Lindickes weitläufiger Stadtgarten liegt in idyllischer Hanglage, der Blick reicht über die Havel, den Turm der Heilig-Geist-Kirche bis hinüber zum Wannseeturm. Unten auf der Wiese üben Kinder Kopfstand, ein Hund räkelt sich zufrieden auf der frisch gemähten Wiese, auf die von Zeit zu Zeit weiße Flockenwirbel aus den Baumreihen schneien.

In Werder fällt zweimal im Jahr Schnee: „Im Winter das Geriesel Frau Holles, im Frühjahr der weiße weiche Flaum zur Erde getragener Blütenträume“, so vermeldete es der Chronist vor über 70 Jahren im märkischen Heimatführer. Eine leichte Böe fegt die leeren Plastikbecher von den Tischen. Tische und Bänke haben sich der Lage des Grundstückes angepasst und so geriet nicht nur der Wein öfters in Schieflage, sondern auch mancher Gast, der schon etwas angezählt vom Weinkosten nicht bemerkte, dass sich sein Banknachbar zum Aufbruch rüstete. So landete mancher schon am Nachmittag unversehens unterm Tisch.

Oder schaffte es doch noch in den nächsten, nur etwa 200 Meter entfernten Obstgarten der Familie Rietz. Schon auf der Straße empfängt die Gäste ein würziger Duft, der aus der kleinen Backstube strömt und sich mit dem Duft der Obstblüten mischt. Flammkuchen mit Zwiebeln und Schinkenspeck wird hier ofenfrisch von drei jungen Damen angeboten. Auch die mit Tomaten und Lauch belegten Brote am Stand gegenüber locken verführerisch und schmecken lecker, weil die Schnittchen angeröstet sind. Die Bänke unter den alten knorrigen Obstbäumen haben bequeme Rückenlehnen, so lässt es sich angenehm verweilen, während nebenan Hühner gackern und der Wind den Himmel blau bläst.

Im Garten eilt Elke Rietz – eine rote Blume steckt keck in ihrem Haar – zwischen Stand und Backstube umher und nimmt sich Zeit für einen Plausch mit den Gästen. Die Frage nach dem stillen Örtchen bringt sie nicht in Verlegenheit. Das Plumpsklo in dem kleinen Häuschen auf der linken Gartenseite sei eines „der ältesten Brandenburger Klos“, verkündet sie schelmisch lachend. Der Idylle schadet es trotzdem nicht.

Familie Rietz gehört zu den Ur-Werderschen und schon Theodor Fontane erwähnte sie in seinen „Wanderungen“. Oma Elsa Rietz entstammt einer Obstbauern-Dynastie und gehört mit ihren 85 Jahren zu den ältesten Obstbäuerinnen der Stadt. Schon ihr Großvater stellte Obstwein her, den er am Hohen Weg ausschenkte. Eine 0,7 Liter Flasche Obstwein kostete damals 1,80 Reichsmark, heute wird ein Liter auf dem Fest für sechs bis acht Euro verkauft. Die Zeit vor dem Fest bedeutet für die Obstbauern viel Stress, die ganze Familie hilft bei den Vorbereitungen. Während im Weinkeller abgefüllt wird, muss draußen geharkt, gemäht und geputzt werden.

„Die Gäste können sich gar nicht vorstellen, dass die Vorbereitungen stressiger sind als das Fest selber“, erzählt eine Tochter der Obstbäuerin. Das Ehepaar aus Werder hat auch den Weg in den Garten Rietz gefunden, vor allem, um den Flammkuchen zu probieren. „Beim Blütenfest stehen immer zu viele Leute hier an“, sagt die Frau, „da haben wir es einfach noch nicht geschafft“.

Wer noch in den Genuss kommen will, unter blühenden Obstbäumen zu sitzen, hat dazu noch in dieser Woche Gelegenheit. Täglich ab Mittag sind die Obstgärten im Hohen Weg geöffnet.

Kirsten Graulich

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