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Potsdam-Mittelmark: Die Blütenstadt bangt um ihre Früchte

Werders Obstbauern müssen jetzt Nachwuchs ausbilden, sonst droht in zehn Jahren das Aus für die Anbauregion

Von Eva Schmid

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Werder (Havel) - Wenn nicht bald etwas passiert, dann gibt es zum Werderaner Baumblütenfest wohl nur noch Papierblüten statt natürlichen Baumschmucks. Schon in zehn Jahren könnte es mit dem Obstanbau in der Region rund um Werder vorbei sein, warnt Chris Rapparport. Er hat in den vergangenen zwei Jahren die Situation der Obstbaubetriebe genauestens unter die Lupe genommen. Am Dienstagabend hat er seine Ergebnisse auf der Inselstadt bei einer Veranstaltung des Werderaner Heimatvereins im Schützenhaus vorgestellt.

„Werder hat seit dem Mauerfall den Anschluss verpasst“, sagt Rapparport. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Mittlere Havel. Dabei handelt es sich um eine Vereinigung, die das Gebiet zwischen Werder und Brandenburg an der Havel touristisch entwickeln möchte. Rapparport ist weder Obstbauer noch stammt er aus Werder. Dennoch hängt sein Herzblut am Erhalt der Obstbautradition. „Wir müssen jetzt etwas machen, sonst ist es zu spät“, sagt der Mann aus Deetz.

In den vergangenen 25 Jahren sei die Anbaufläche von über 10 000 auf heute unter 1000 Hektar geschrumpft. Die derzeitige Lage spreche nicht dafür, dass sich der Trend aufhalten lasse. „Wir haben nur noch 26 Betriebe, die hauptsächlich im Haupterwerb anbauen“, so Rapparport. Deren Chefs seien durch die Bank bereits über 50 Jahre alt. Nachfolger seien nicht in Sicht. Lehrstellen gebe es in den wenigsten Betrieben – wohl auch, weil sich nur noch wenige einen Meister oder gar den Lehrlingslohn leisten können. Schlussendlich würde ihnen auch eine Perspektive fehlen, zählt Rapparport auf. „Ohne Lehrstellen ist die Region nicht überlebensfähig.“ Im Hamburger Alten Land, das bekannt ist für seine Äpfel, würde das ganz anders aussehen.

Der Fördervereinsvorsitzende greift auf Zahlen zurück, die Studenten der Hochschule Eberswalde vor drei Jahren in Interviews mit Werderaner Obstbauern erhoben haben. Es seien die aktuellsten Zahlen, sagt er. Der Projektbericht der Studenten mit dem Namen „Situationsanalyse des Obstbaus in Werder Havel“ gibt einen Überblick über den Zustand in den Betrieben und auf den Anbauflächen. Demnach bewirtschaftet der Großteil der Landwirte eine Fläche von 6 bis 20 Hektar. In den Familienbetrieben gibt es in der Regel bis zu fünf festangestellte Mitarbeiter. In der Saison kann sich ein Betrieb vier bis fünf zusätzliche Kräfte leisten.

Insgesamt werden in Werder auf rund 300 Hektar Kirschen und auf 270 Hektar Äpfel angebaut. Auf den Anbauflächen schlummert laut Rapparport schon das nächste Problem: „Die meisten Kirschgehölze in Werder sind über 25 Jahre alt, bei den Äpfeln sieht es zum Glück etwas besser aus.“ Hier seien Neupflanzungen erfolgt. Ihr Alter schwankt daher zwischen sechs und 20 Jahren.

Obstbauern würden neue Bäumchen allerdings lieber auf eigenem und nicht auf gepachtetem Grund pflanzen. Doch auch mit den eigenen Flächen ist es nicht so einfach: „Der Großteil der Betriebe hat seine Flächen nur gepachtet“, sagt Rapparport. Bei etlichen würden demnächst die Verträge auslaufen. Der Markt um die Felder ist heiß umkämpft: Landwirte, die Mais, Raps oder Zuckerrüben für die energetische Nutzung anbauen, kaufen zurzeit viele Flächen auf. „Preislich gegen sie anzukommen, das schaffen Obstbauern nicht.“

Um die Obstbautradition zu erhalten, hat Rapparport mit Werderaner Vereinen und der Stadtverwaltung ein Projekt initiiert. Zwei Jahre saßen sie mit Fachexperten zusammen und schauten auch über die Landesgrenzen hinaus, genauer gesagt ins österreichische Südburgenland. „Die Region Werder und Südburgenland haben eine ähnliche Geschichte“, erklärt Rapparport. Jahrzehnte im Schatten des eisernen Vorhangs hätte man in Österreich nach der Wende auch neu anfangen müssen. „Dort hat man heute eine Genussregion etabliert.“

Um auch in Werder weiterzukommen, „muss an der Qualität der Produkte gearbeitet werden“. Rapparport fehlt in der Region eine Saftfabrik. Dort könnten Kirschen und Äpfel weiterverarbeitet und veredelt werden. Sogar Schnaps und Marmeladen könnten dort hergestellt werden. „Auch Obstwein könnten man das ganze Jahr über verkaufen“ – dafür müsste er aber an Süße verlieren. „Von Berlinern höre ich aber immer wieder, dass man ihn so süß sowieso nicht trinken kann.“

Überhaupt, die Berliner: Die Großstädter würden geradezu nach regionalen Lebensmitteln suchen. Und sie sind anspruchsvoll. Wieso also nicht auch mal Pfirsiche und Aprikosen anpflanzen? Die blühen immerhin genauso prächtig wie Apfel- und Kirschbäume.

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