Potsdam-Mittelmark: Die entscheidenden Zentimeter
Regelmäßig kontrolliert die Polizei Schwerlasttransporte und regelmäßig entdeckt sie dabei erhebliche Mängel
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Nuthetal - Alles hängt von ein paar Zentimetern ab. Frank Wacker steht auf dem kleinen Parkplatz am Ortseingang von Sputendorf und schaut auf den Anhänger mit dem kleinen Schaufelbagger. „Eine tickende Zeitbombe“, sagt er und zeigt dabei auf die Mitte des Hängers. Genau dort, über den zwei Achsen, müsste der Bagger stehen. Macht er aber nicht. Der Fahrer des Anhänger winkt ab und versucht die Kumpeltour. „Ach, die paar Zentimeter“ sagt er. Wacker reagiert gar nicht darauf.
Frank Wacker ist Polizeiobermeister bei der Krad- und Eskortenstaffel im Schutzbereich Potsdam, Abteilung Verkehrsdienste. Mit drei anderen Kollegen steht er an einem Augustnachmittag bei Sputendorf und kontrolliert den so genannten Güterkraftverkehr. Regelmäßig werden Lkw, Kleintransporter oder Pkw mit Anhänger von der Straße auf den Parkplatz gewunken. Eine von regelmäßigen Kontrollen, die von den 20 Beamten durchgeführt werden.
In den vergangenen Wochen hatten die Beamten verstärkt den Ernteverkehr in der Region kontrolliert und dabei erhebliche Mängel festgestellt. Mal wurde ein Traktor gestoppt und die Weiterfahrt verboten, weil Strohballen zu hoch geladen und nicht richtig gesichert waren. Bei andern waren die Reifen abgefahren oder die Bremsschläuche porös. Die Meldungen über derartige Mängel häuften sich. Das wollte man sich vor Ort anschauen.
„Viel Glück werden wir heute nicht haben“, sagt Frank Hering, Kommissar in der Krad- und Eskortenstaffel, zur Begrüßung. Der große Teil der Ernte sei eingefahren und kaum noch Erntefahrzeuge auf der Straße unterwegs. Aber das bedeutete nicht, dass keine Kontrollen notwendig seien. Was Hering damit meint, zeigt sich schon wenige Minuten nach Ankunft auf dem Parkplatz bei Sputendorf. Ein erster Lkw wird rausgewunken, die Lieferpapiere und Fahrtenschreiber überprüft. Dann der nächste. Und der weckt Wackers Interesse.
Zuerst begutachtet er die TÜV-Plakette, dann die Reifen und im nächsten Moment ist er schon unter das Fahrzeug gekrochen. Mit einem Taschenmesser kratzt Wacker an rostigen Stellen. Man muss kein Experte sein um zu sehen, dass dieser Lkw schon einige Jahre auf der Straße fährt. Aber man muss Experte wie Wacker sein, um genau zu wissen, wo man suchen muss. Nach seiner eingehenden Inspektion wird Wacker auf den Mängelzettel notieren: Scheibenwischer unbrauchbar, Abgasanlage defekt, Fahrzeug verliert Öl. Derweil spricht Kommissar Hering mit dem Fahrer.
Der erzählt, dass er nur an drei Tagen in der Woche den Lkw einer Berliner Firma lenkt und nur für diese Tage die Fahrtenschreiberscheiben bei sich habe. Jeder Lkw-Fahrer muss die Scheiben der vergangenen 15 Tage mit sich führen. So soll gewährleistet werden, dass auch über einen längeren Zeitraum die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten eingehalten werden.
Fehlende Fahrtenschreiberscheiben, wie so oft, sind bei diesem Fahrer nicht das Problem. Er müsste mit einer Bescheinigung nachweisen, dass er nur nebenberuflich den Lkw fährt, klärt Hering ihn auf. Davon hat der Fahrer noch nie etwas gehört. Hering und seine Kollegen kennen das. Immer wieder schauen sie bei den Kontrollen in fragende Gesichter, wenn sie auf bestimmte Vorgaben hinweisen. Und dann erklären sie geduldig, was sie meinen.
Dieser ruhige Umgangston an diesem Nachmittag ist auffallend. Der Fahrer eines Geländewagens mit Anhänger auf dem er frischen Beton geladen hat, muss ein Teil auf die Ladefläche seines Jeeps schippen, weil der Hänger überladen ist. Er tut das ohne zu murren oder zu diskutieren.
Hering sagt, dass es nur noch selten vorkommen, dass die Fahrer aggressiv reagieren. „Uns geht es darum, auf die Fehler hinzuweisen und damit zu sensibilisieren.“ Dafür sei ein vernünftiger Ton die Voraussetzung. Oft ergeben sich sogar Gespräche, stellen die Fahrer auch Fragen, wie man jenes richtig zu laden habe oder dies zu sichern ist. Im Mannschaftswagen hat Hering einige Bücher, herausgegeben vom Verein Deutscher Ingenieure, in denen alles zum richtigen Beladen und Sichern in Wort und Bild beschrieben ist. Es dauert nicht lange, dann wird Hering eines dieser Bücher hervorholen. Und die elektronische Waage, mit der vor Ort überprüft werden kann, ob ein Fahrzeug überladen ist oder nicht.
Als der Wagen mit dem Schaufelbagger auf dem Anhänger auf den Parkplatz gewunken wird, reicht den Polizisten ein kurzer Blick und sie schütteln die Köpfe. Sie sehen sofort, dass der Bagger mit viel zu dünnen Spanngurten und dann auch noch falsch gesichert ist. Der Fahrer behauptet, dass er schon drei Mal von der Polizei mit dem so gesicherten Bagger angehalten worden sei. „Und nie hatte jemand was auszusetzen“, sagt er. Wacker nickt dieses Nicken, das besagt, solche Ausreden kennen wir schon. Er schaut sich den Anhänger jetzt genauer an und bleibt bei der Deichsel stehen. „Hier muss die Waage ran“, sagt Wacker.
Der Hänger wird abgekuppelt und mit dem Stützrad auf die kleine Waage gestellt. Doch die misst nur bis 200 Kilogramm und auf dem Stützrad lasten mehr. Wacker holt eine große Platte aus Aluminium mit integriertem Messsystem, mit der Schwertransporter, indem sie auf die Platte fahren, gewogen werden. Hier bleibt die Anzeige bei 350 Kilogramm stehen. Zugelassen ist die Deichsel für maximal 100 Kilogramm, dazu kommt eine Toleranz von 50 Kilogramm. Der Blick des Fahrers wirkt auf einmal sehr sorgenvoll.
Es ist das erste Mal, dass Wacker an diesem Nachmittag seinen trockenen Humor verliert. „Bei einer Gefahrenbremsung oder einem plötzlichen Ausweichen ist der Anhänger nicht mehr zu kontrollieren“, sagt Wacker. Der Anhänger könnte ausbrechen, umkippen oder auf die andere Fahrbahnseite schleudern. Variationen eines möglichen Schreckensszenarios gibt es genug. Darum nennt Wacker diese falsch beladenen Anhänger „tickende Zeitbomben“. Regelmäßig kontrollieren er und seine Kollegen Fahrzeuge, bei denen die Stützlast der Deichsel erheblich überladen ist. Und oft sind es nur ein paar Zentimeter, die aus der tickende Zeitbombe wieder einen korrekt beladenen Anhänger machen. Meist ist es Unwissenheit, gepaart mit Gedankenlosigkeit, die zu so einem falschen Beladen führen. Gerade das findet Wacker so bedenklich.
Die viel zu dünnen Spanngurte werden gelöst und der kleine Schaufelbagger ein Stück nach hinten gefahren, so dass er genau über den zwei Achsen des Hängers steht. Das Gewicht des Baggers liegt jetzt auf den beiden Achsen, die dafür ausgelegt sind. Die Deichsel ist entlastet. Der Fahrer hat in seinem Betrieb in Ludwigsfelde angerufen, ein Kollege bringt stärkere Spanngurte, mit denen sie den Bagger richtig sichern. Auf den ersten Blick sind es Kleinigkeiten, die hier geändert werden. Doch es sind die entscheidenden Kleinigkeiten.
Dirk Becker
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