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Potsdam-Mittelmark: Die ganze Stadt voller Waffen

Der Beelitzer Reggae-Künstler Mellow Mark gab zwei Konzerte in Bagdad und im kurdischen Erbil

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Beelitz / Bagdad - Am Vortag des Konzertes hatte es in Bagdad 16 Bombenanschläge gegeben – an einem Tag, in einer Stadt. Nein, Bagdad ist wirklich nicht der Ort, der zu Konzerten und ausgelassenem Feiern einlädt. Wenn man nicht Mellow Mark heißt. Der Beelitzer Reggae-Sänger und Songwriter ist seit 15 Jahren im Geschäft und deutschlandweit ein bekannter Name in der Szene. Voriges Jahr hatte Mellow Mark mit seinem Bandprojekt „Mellow Maroc“ in Marokko gespielt und auch in Ägypten, wo die Muslimbrüder gerade zur Höchstform aufliefen. Die arabische Republik war dann die Eintrittskarte zu einem Konzert in einem der gefährlichsten Länder der Welt.

Bagdad ist dieses Jahr Kulturhauptstadt der arabischen Welt, und die deutsche Botschaft wollte in Zusammenarbeit mit dem dortigen Goethe-Institut einen deutschen Beitrag liefern. Es gab eine Kunstausstellung – und zwei Konzerte mit Mellow Mark, in Erbil im kurdischen Nordirak und eben in Bagdad. Zwei Städte in einem Land, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Und überhaupt findet sich ganz viel Widerspruch in diesem Gastspiel: ein Reggae-Konzert in einer Stadt des Terrors, in der täglich Bomben detonieren, es jeden treffen kann – ob beim Einkaufen, beim Tee im Straßenlokal oder beim Gebet in der Moschee.

Während Mellow Mark mit seiner Band eine Brücke zur Weltmusik schlägt, den Reggae mit orientalischen Klängen verknüpft, sich für Frieden und Völkerverständigung einsetzt, brodelt in Bagdad eine hochexplosive Mischung: Sunniten und Schiiten, ausländische Firmen, Soldaten und Sicherheitsdienste – und alle sind irgendwie bewaffnet. „Wirklich schräg ist aber, dass die Preise für Kalaschnikows nach oben gegangen sind – weil im Nachbarland Syrien ein Bürgerkrieg tobt und dort die Waffen gebraucht werden“, sagt Mellow Mark.

„Als wir vom kurdischen Erbil aus nach Bagdad geflogen sind, hatten wir schon ein mulmiges Gefühl“, erzählt Tontechniker Richard Kaiser. Die deutsche Botschaft hatte Security organisiert, es gab einen Haufen Papierkram, Dutzende Formulare mussten ausgefüllt werden. „Zwischen den Zeilen hieß es ungefähr: Wenn Sie gekidnappt werden, brauchen wir Informationen, damit wir Ihre Leiche identifizieren können“, so Kaiser. „Und da gehen pro Tag 10 bis 15 Bomben hoch.“

Die Sicherheitsmaßnahmen seien exorbitant gewesen: „Die Breite Straße in Potsdam zur Hauptverkehrszeit ist gar nichts gegen den Straßenverkehr in Bagdad“, erzählt Mellow Mark. „Nur Checkpoints! Als ob man von Babelsberg nach Potsdam-West über zwei Stunden brauchen würde.“ „Irgendwann haben wir nur noch Witze über diese Sicherheitsolympiade gemacht“, ergänzt Kaiser. Galgenhumor als letztes Mittel zur Beruhigung. Bassist Momo ist Algerier und kann fließend Arabisch, das habe bei den Dutzenden Kontrollen ein wenig geholfen.

Ansonsten saß die Band nur mit schusssicheren Westen in einem gepanzerten Konvoi und durfte das Auto auf keinen Fall verlassen. Ein Mitarbeiter vom Goethe-Institut in Bagdad habe gesagt, dass gepanzerte Fahrzeuge eigentlich Quatsch seien: „Terroristen schießen nie auf Autos. Wenn, dann sprengen sie gleich die ganze Kreuzung weg.“ Die beiden lachen jetzt darüber, aber eigentlich hätten sie schon Angst gehabt. „Man stumpft eben auch ab“, sagt Mellow Mark.

Irgendwann blicke man nur noch in die Läufe der Kalaschnikows und denke nicht darüber nach. Die ganzen Checkpoints kommen einem völlig chaotisch, unnötig und unlogisch vor. „Du sitzt in einem gepanzerten Fahrzeug und draußen pulsiert das Leben, da spielen Kinder Fußball am Straßenrand. Drinnen hat man Angst, draußen verhalten sich die Menschen völlig normal.“

Die Menschen in Bagdad hätten unter Saddam mehr Sicherheit gehabt, auch wenn sie das ungern zugeben. Dennoch distanzieren sie sich von ihm. Von Trauer keine Spur. Allerdings kommt man nicht wirklich ran an die Bagdader Bevölkerung – wie auch, wenn man den Tag in einem gepanzerten Fahrzeug verbringt und den Abend ein Konzert für eine Heerschar von Securitys und eine Handvoll ausgewählter Funktionäre gibt?

Wo früher Saddams Regierungsviertel war, ist jetzt eine internationale Sicherheitszone, in der auch das Hotel war, in dem die Band untergebracht wurde. Als dann die Mitteilung kam, dass das Konzert außerhalb der Sicherheitszone stattfinden würde, wurde der Band wieder etwas unwohler. Doch der Saal war völlig abgeschirmt. „Mehr als die Hälfte des Publikums waren Bodyguards“, sagt Kaiser. „Und unter ihnen waren ganz viele Brandenburger. Das hat uns echt erstaunt. Als ob die eine besondere preußische Qualität haben würden.“

Das Konzert war der deutsche Beitrag zu den Festlichkeiten, und wer VIP war, wurde ganz schnell klar: „Die Funktionäre hatten eine Packung Kleenex und eine Schale mit Nüssen auf dem Tisch. Das fiel richtig auf“, lacht Kaiser. Im Prinzip habe man nur vor Sicherheitspersonal gespielt. „Die ganze Stadt ist voller Waffen – aber während des Konzertes fühlte sich das fern an.“

„Der Irak ist kulturell gelähmt, da sind die Menschen wirklich dankbar, hatten wir das Gefühl“, sagt Mellow Mark. Über Istanbul war es am Donnerstag, dem 17. Oktober, zunächst nach Erbil in Kurdistan gegangen. „Beide Städte sind komplett anders“, sagt Mellow Mark, und Richard Kaiser ergänzt: „Die Kurden im Norden sind das einzige Volk im Irak, dem es nach dem Krieg etwas besser geht.“ Man habe dort eher das Gefühl, in der Türkei zu sein.

Aber dennoch war die Nervosität spürbar: Percussionist Max machte ein Handy-Foto aus dem Auto – und sofort wurde der Wagen gestoppt, von Sicherheitskräften mit Maschinenpistolen im Anschlag. Das Telefon wurde konfisziert, alle mussten mit auf die Wache. Zum Glück ging aber alles gut. „Die haben schnell gemerkt, dass wir nur Deutsche sind, die keine Ahnung haben“, grinst Kaiser. Das Handy gab es zurück und die Fahrt konnte weitergehen.

Ansonsten war Erbil entspannt. Die Stadt sei überhaupt kein Dritte-Welt-Ort mit offensichtlicher Armut, die Menschen können auch mal richtig feiern. Es gibt dort reichlich Öl, dicke Autos sind unterwegs, der Liter Benzin kostet umgerechnet 30 Cent. „Die Mieten sind wesentlich höher als etwa in Potsdam“, sagt Kaiser.

Auch das Konzert war ganz lässig, sehr nah am Publikum, ohne großes Security-Aufgebot. Ein kurdischer Sänger sei spontan mit auf die Bühne gekommen und habe mitgemacht, herzlich und friedlich sei die Stimmung gewesen. „Eigentlich war das alles eher provinziell“, sagt Mellow Mark. „Das war eher wie in Bayern als wie im Irak.“ Da stand ihnen Bagdad aber noch bevor.

Als das Flugzeug von „Turkish Airlines“ am Montag wieder auf dem Istanbuler Flughafen landete, sei allen eine riesige Last von den Schultern gefallen. Man hätte zwar gern mehr von Bagdad gesehen, aber das sei einfach nicht möglich, wenn man nur in einem gepanzerten Wagen sitzen dürfe. Was man mit nach Hause nimmt, ist aber definitiv ein Erlebnis. „Ich bin gefragt worden, ob ich denn noch mal nach Bagdad fliegen würde – und ich habe ganz spontan Ja gesagt“, sagt Kaiser. „Das ist schon komisch.“

Mellow Mark spielt am Freitag, dem 8. November, im Potsdamer Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76, auf dem „Rootmission Reggae Festival“. Karten gibt es für 17 Euro im Vorverkauf.

Oliver Dietrich

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