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Potsdam-Mittelmark: Die Halbstarken vom Schwielowsee

Fercher Jugendliche erforschen beim Projekt „Zeitzeugen“ die Teenagerzeit ihrer Eltern und Großeltern

Von Enrico Bellin

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Schwielowsee - „Halbstark, oh Baby, Baby, halbstark“ – Der Song der Bremer Beatband Yankees wurde zum Soundtrack einer Teenager-Generation mit Schmalztolle, Lederjacke und kurzen Röcken, die bis Ende der 60er-Jahre die älteren Generationen in  Deutschland verunsicherte. Jetzt stehen die Halbstarken wieder im Mittelpunkt, die Fercher Jugendgemeinschaft untersucht derzeit das Heranwachsen im Ort in den vergangenen Jahrzehnten.

Auch am Schwielowsee waren die Teenager damals rebellisch: „Meine Oma hatte auf dem Schulweg immer Absatzschuhe und einen kurzen Rock in der Tasche und hat sich dann an der Bushaltestelle umgezogen“, sagt Yara Anders, Betreuerin des Fercher Jugendclubs. Die 23-Jährige organisiert gemeinsam mit Ferchern zwischen 15 und 19 Jahren ein Projekt, mit dem sie herausfinden wollen, wie ihre Eltern und Großeltern aufgewachsen sind. „Wir hatten in der Vergangenheit teilweise Probleme mit Nachbarn, die meinten, das wir im Jugendklub zu laut sind“, so Anders. Nun wollen sie zeigen, dass Jugendliche schon immer eigensinnig waren und gefeiert haben. Außerdem wollen sie beweisen, das die heutigen Klubgänger mehr können, als nur zu feiern.

So haben sie bereits recherchiert, dass es früher mehr Freizeitmöglichkeiten im Ort gab. Jetzt gebe es nur noch den Klub. „Für meine Eltern gab es noch ein Restaurant und mehrere Kneipen, die besonders für Jugendliche regelmäßig Bälle und Tänze organisiert haben“, sagt die 19-jährige Luana. Gemeinsam mit 17 Mitstreitern, darunter fünf Jungs, will sie in einem Video die damalige Jugendkultur der heutigen gegenüberstellen.

Eingebettet ist das Vorhaben in das Projekt „Zeitsprünge“ der Beratungsstelle für lokal-historische Projektarbeit Brandenburg. Die Ergebnisse sollen beim Jugendgeschichtstag am 14. und 15. November vorgestellt werden. Dazu werden die Jugendlichen ihr Projekt an einem Stand vorstellen. Schon im April haben sie sich in mehrere Gruppen aufgeteilt, die Interviews machen, Videos schneiden und im Archiv der Gemeinde nach Hinweisen zur Jugendkultur suchen.

„Ich bin schon gespannt, wie die Leute früher einmal ohne WhatsApp kommuniziert haben“, sagt Luana. Von ihrer Mutter hat sie bereits gehört, dass die Teenager früher wesentlich mehr Freizeit hatten als heute. Allein die Fahrt zum Michendorfer Gymnasium, auf das fast alle Projektteilnehmer gehen, dauert von Ferch aus mit dem Bus eine Stunde pro Richtung.

Auch die 16-jährige Celine hat im Zuge der Recherche breits mit ihrer Mutter über deren Jugend gesprochen. „Früher hat man sich einfach verabredet und es kamen immer Leute, auch wenn man sich nur auf einer Wiese getroffen hat.“ Heute beredet sie dagegen mit Freundinnen viel mehr über das Handy. Außerdem sei die Mutter viel mehr mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, Celine und ihre Freunde nehmen lieber den Bus. „Früher war man auch fast nur mit Gleichaltrigen zusammen, bei uns ist das gemischter.“

Für ihr Projekt haben die Jugendlichen bereits Einzelinterviews mit alteingesessenen Ferchern gefilmt. Sie fragten sie unter anderem, wie und wo sie sich verabredet haben und was sie so getragen haben: Jeansjacken und kleine runde Brillen waren anscheinend besonders oft in Mode. Noch bis Ende September dauern die Interviews, eingeborene Fercher können sich gern als Zeitzeugen an den Jugendklub wenden. In dem Video der Jugendlichen soll dann chronologisch die Entwicklung der Fercher Jugendkultur erarbeitet werden.

Eine der Fragen an die Zeitzeugen lautet, was sie damals heimlich, ohne das Wissen ihrer Eltern gemacht haben. Auf dem Gebiet haben auch die Mitglieder des Jugendklubs Erfahrung: Als es Samstags beim Feiern mal etwas später wurde, haben sie spontan im Klub übernachtet. Am nächsten Morgen gab es ein gemütliches Gruppenfrühstück und natürlich Ärger mit den Eltern. Zu arg treiben es die Teenies dabei aber nicht. Zwar gibt es im Klub auch Alkohol, wer noch keine 18 Jahre alt ist, bekommt aber ein Bändchen ums Handgelenk und fliegt spätestens um Mitternacht raus. Da höre der altersübergreifende Zusammenhalt der Fercher dann doch auf. Enrico Bellin

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