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Freunde in der Schule. Pia ist vom Bauchnabel abwärts gelähmt. Ohne Hortassistenz will die Schule keine Verantwortung für sie übernehmen, zahlen sollen ihre Eltern.

© hkx

BILDUNG: Die Inklusion endet am Mittagstisch

Wie zwei Caputher Familien mit behinderten Kindern an den sozialen Rand gedrängt werden.

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Schwielowsee / Potsdam - Robby ist ein Sonnenschein. In der Kita haben sie ihn geliebt, auch an der Geltower Meusebach-Schule ist der Siebenjährige seit August gern gesehen. Den Jungen mit Down-Syndrom an einer Regelschule unterzubringen, war gar nicht einfach. Er rennt gern mal los, um auf einen Baum zu klettern. Robbys Eltern haben aber gute Erfahrungen gemacht, wenn ihr Sohn mit „normalen“ Kindern zusammen ist. Die Schulleiterin der Meusebach-Schule holte sich die Rückendeckung des Kollegiums, alle stehen dahinter.

Ja, auch das Land, das derzeit die Inklusion behinderter Kinder an Regelschulen vorantreibt. Dachten Robbys Eltern jedenfalls. Doch für eine Hortassistenz für ihren Sohn sollen sie allein aufkommen, über 800 Euro sind das im Monat. „Die Inklusion endet am Mittagstisch“, sagt Robbys Mutter, Jana Radland.

Dass es ein Kampf wird, ihren Sohn zu „inkludieren“, war ihr klar, zumal sie keine der 85 Pilotschulen wählte, an denen das Bildungsministerium derzeit die Abschaffung der Förderschulen testet. Manche Down-Syndrom-Kinder können schon heute mit zusätzlicher Hilfe an Regelschulen Lesen und Schreiben lernen und Rechengrundkenntnisse erlangen. Obwohl im Förderverfahren festgestellt worden war, dass Robby dazu eine ständige Unterrichtsbegleitung braucht, musste seine Mutter dann im Sozialamt um jede Stunde kämpfen.

Das ging noch weiter: Die Schulzeit an der Ganztagsschule endet um 13.45 Uhr, dann beginnt die Nachmittagsbetreuung. Ein Antrag an die Gemeinde, die Kosten der vom Förderausschuss empfohlenen Hortassistenz zu übernehmen, wurde vorerst abgelehnt. Auch das Sozialamt des Kreises will das nicht bezahlen. Robby versteht überhaupt nicht, warum er nachmittags nicht mit seinen neuen Schulfreunden spielen darf.

Jana und Tilo Radland schrieben an Behörden, Behindertenbeauftragte und Ministerien – ohne Erfolg. Von mehreren Seiten wurde ihnen deutlich gemacht, dass sie die Kosten selbst zu tragen haben, soweit sie „wirtschaftlich leistungsfähig“ sind. Man orientiere sich dazu am Sozialhilfesatz. Das Bildungsministerium antwortete zwar freundlich und wünschte Robby „einen erfolgreichen Start in seine Schullaufbahn“ , verwies in der Sache jedoch ans Sozialministerium. Von dort wurde dann eine Woche später in einem Vierzeiler ans Bildungsministerium verwiesen – ein Möbiusband. Jana Radland spricht von einer „Riesensauerei“.

In ihrem Bemühen lernten Radlands in ihrem Heimatort Caputh Familie Prüfer kennen, der es genauso geht. Die kleine Pia Prüfer hat einen offenen Rücken, ist vom Bauchnabel abwärts gelähmt. Aber sie bewegt sich fix in ihrem Rollstuhl – und im Geiste. Die Eltern hatten nach längerem Suchen die teilweise barrierefreie Michendorfer Grundschule für sie gefunden, ein Schulhelfer unterstützt sie beim Lernen und hilft mit den Unterrichtsmaterialien. Pia ist acht, gerade in die zweite Klasse gekommen. Im ersten Schuljahr hatte ihre Heimatgemeinde die Hortassistenz noch bezahlt, Pia hatte sich gut eingelebt und Freunde gewonnen. Kurz vor dem zweiten Schuljahresstart wurde der Zuschuss gestrichen. Ohne Assistenz will die Schule keine Verantwortung für die Hortbetreuung übernehmen.

Die Michendorfer Grundschule ist keine Ganztagsschule, die Hortzeit beginnt bereits 11.30 Uhr. Träger wie die „Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus“ übernehmen Assistenzleistungen für Kinder wie Pia, für Hortassistenz werden 21 Euro pro Stunde fällig. Von der vierstündigen Nachmittagsbetreuung sind Norbert und Silvana Prüfer jetzt auf eine zweistündige gewechselt. Es bleibt teuer, wie das auf Dauer bestritten werden soll, wissen sie nicht.

Beide sind berufstätig, Silvana Prüfer arbeitet Teilzeit. „Wenn die Hilfe vom Einkommen abhängig gemacht wird, wird nicht viel rauskommen“, fürchtet Norbert Prüfer. Die Familie hat ein hübsches neues, barrierefreies Haus mit Garten. Am Ende werde man mit deutlichen Einbußen dastehen. „Familien, die schon belastet sind, werden noch mehr an den Rand gedrängt“, sagt Norbert Prüfer. Was das mit der angestrebten Inklusion, der „Schule für alle“, zu tun haben soll, können Prüfers nicht erkennen.

Auf PNN-Anfrage bleibt das Bildungsministerium vage, wie den Radlands und Prüfers geholfen werden kann. Es sind bei weitem nicht die einzigen Betroffenen. Im Kontakt mit den zuständigen Kommunal-Behörden sei „im Einzelfall“ und „eventuell“ eine Lösung möglich. „Betroffene Eltern sollten sich auf jeden Fall immer umfassend informieren und gegebenenfalls beraten lassen“, so Ministeriumssprecher Stephan Breiding. De facto können sie sich auf kein Recht berufen. Was die Förderschule noch leistet, kann die Regelschule nicht: Für die Nachmittagsbetreuung werden erhebliche Zusatzkosten fällig.

Eltern, die ihre behinderten Kinder inkludieren wollen, müssen damit rechnen, an den Rand der Sozialhilfe gedrängt zu werden. Für zusätzliche Hortkosten, sagt Breiding mit Verweis auf das Sozialgesetzbuch, müssten sie selbst aufkommen. Der Freibetrag liege nach einem komplizierten Schlüssel „leicht oberhalb des Sozialhilfesatzes“. Eltern mit mittlerem Einkommen müssten die Kosten somit selbst tragen. „Das ist in der Regel die Praxis.“

Im Ministerium ist man sich bewusst, dass das mit dem Inklusionsgedanken „nicht kompatibel“ ist. „Hier wird noch an Lösungen gearbeitet“, sagt Breiding. Das gehe nicht ohne den Bund. Breiding wirbt um Verständnis und Zeit: An den Pilotschulen würden ja gerade erst die ersten Schritte für die Förderbereiche Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache gemacht. „ Wie Inklusion für Kinder mit anderen Förderbedarfen, etwa geistigen oder körperlichen Behinderungen, umgesetzt werden kann, wird derzeit geprüft.“ Der Weg sei lang und nicht einfach, er bitte um Nachsicht. Die Radlands und die Prüfers werden das nicht gerne hören. Sie haben sich diese Woche an die nächste Instanz gewandt: die SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein.

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