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Potsdam-Mittelmark: Die Moral des Marcus B.
Ein Jahr auf Bewährung: Der Fichtenwalder Zahnarzt hat sich selbst verstümmelt, um an viel Geld der Versicherung zu kommen. Jetzt ist er vorbestraft, sein Ruf dahin und die Existenz bedroht
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Beelitz / Potsdam - Marcus B. sitzt zurückgelehnt im Saal des Potsdamer Amtsgerichts. Den Blick starr auf die Anklagebank gesenkt, schüttelt der Fichtenwalder Zahnarzt den Kopf, während Richterin Birgit von Bülow streng auf ihn einredet. „Wir halten es für moralisch verwerflich, die Öffentlichkeit als Heilberufler so hinters Licht zu führen.“ Der 43-Jährige hat sich nicht nur seinen linken Zeigefinger abgeschnitten, um die Versicherung um 850 000 Euro zu betrügen. Nein, um glaubwürdig zu wirken, hat er auch noch einen brutalen Raubüberfall vorgetäuscht.
Der Zahnarzt ist am Dienstag vor dem Potsdamer Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, ausgesetzt auf Bewährung. Sein Finger ist ab und dafür muss Marcus B. nun büßen. Zwei Jahre lang darf sich der Fichtenwalder nichts zu Schulden kommen lassen, sonst kommt er hinter Gitter. Damit ging das Gericht über die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einer Geldstrafe von 24 000 Euro hinaus.
„Sie haben einen riesigen Apparat von Polizeibeamten in Gang gesetzt“, erklärte Richterin von Bülow dem Angeklagten. Und nicht nur das: Er habe auch seine Mitmenschen in Aufruhr versetzt, einen Notarzt kommen lassen und die Versicherungsgemeinschaft betrogen. „Da ist eine Geldstrafe nicht mehr ausreichend.“
Angesichts seiner seit dem Verlust des Fingers schlecht laufenden Praxis kommt der Zahnarzt mit der Freiheitsstrafe zwar um eine finanzielle Belastung herum – sein Ruf als Arzt ist gleichwohl dahin, seine Zulassung gefährdet. „Die Allgemeinheit soll abgehalten werden, so etwas zu tun“, erklärte die Richterin. Es sei viel kriminelle Energie eingesetzt worden, um an viel Geld zu gelangen.
Dabei hätte das Gericht den Zahnarzt „wahnsinnig gerne freigesprochen“, sagte von Bülow. „Bloß weil etwas extrem ungewöhnlich ist, kann man es nicht ausschließen.“ Aber die eingesetzten Sachverständigen hätten dem Gericht keine Wahl gelassen: „Es gab überhaupt gar kein Schlupfloch mehr, alle waren verstopft.“ Es stehe fest, dass die Tat, wie B. sie vorgetragen hat, so nicht stattgefunden haben kann. Auch Staatsanwältin Sarah Kress sprach von einem Märchen, dem man nicht glauben könne.
Im März vergangenen Jahres hatte der Arzt den Notruf alarmiert. Er gab an, zwei südeuropäisch aussehende Räuber hätten ihn in seiner Praxis überfallen, als er allein dort war. Sie verlangten Geld, Gold und Medikamente. Weil B. ihnen jedoch nur 50 Euro geben konnte, hätten sie seinen Zeigefinger abgeschnitten und mitgenommen, als Souvenir. Der Finger blieb verschwunden, von den Räubern fehlt jede Spur. Aber nicht nur deshalb scheint die Version unglaubwürdig.
B.s Schuld schließt das Gericht vor allem aus den Blutspuren, die auf einer Fußbodenschutzmatte in der Praxis gefunden wurden. In ihrer Nähe soll der Finger abgetrennt worden sein. Doch die Blutmuster sprechen eine andere Geschichte: Zum einen spritzte das Blut nicht etwa aus einer offenen Wunde auf die Matte, sondern wurde vielmehr tropfend verteilt. Zum anderen wurde viel zu wenig Blut gefunden, und was gefunden wurde, war auch noch mit einem Schmerzmittel zersetzt. Schnell kam im Verfahren die Frage auf, ob sich B. vor dem Schnitt selbst betäubt hat.
Der Zahnarzt selbst gab an, sich erst danach notdürftig mit dem Mittel versorgt zu haben. Doch dagegen spricht ein Fußabdruck, der in der durch und durch schmerzmittelgetränkten Blutlache auf der Matte gefunden wurde. Daraus können die Ermittler schließen, dass schon das Blut, dass aus dem Finger tropfte, das Schmerzmittel enthielt.
Die zwei Verteidigerinnen des Zahnarztes kündigten an, Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen zu wollen. Berufung als auch Revision sind möglich. Sie hatten auf Freispruch plädiert und am Dienstag erneut vergeblich einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht gestellt. Ihr Mandant sei früh vorverurteilt worden, habe keinen Grund gehabt, die Versicherung zu betrügen. Er sei nicht in Geldnot und führe kein Luxusleben. Seine Praxis lief gut, bis zum Tag des Überfalls. Seitdem bleiben die Patienten weg, in den nächsten Jahren sei deshalb mit einem wirtschaftlichen Schaden von mehreren Hunderttausend Euro zu rechnen.
Auch der 43-Jährige selbst meldete sich noch einmal zu Wort. Die vergangenen Monate seien für ihn und seine Familie die Hölle gewesen. Sein Ruf, der seiner Praxis und der seiner Familie sei zerstört. „Wir hatten mal ein tolles Leben“, sagte B. unter Tränen.
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