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KulTOUR: Die Mutter der Porzellankiste

Schwielowsee - Obwohl der moderne Mensch als wissendes Wesen gilt, verwendet er viele Dinge, ohne sie wirklich zu kennen. Porzellan zum Beispiel.

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Schwielowsee - Obwohl der moderne Mensch als wissendes Wesen gilt, verwendet er viele Dinge, ohne sie wirklich zu kennen. Porzellan zum Beispiel. Natürlich fällt einem da sofort die düstere Geschichte von Johann Friedrich Böttger im Sachsenland Anfang des 18. Jahrhunderts ein, aber die edelste aller Keramikarten ist ja viel älter, und viel weiter im Osten zu Hause, in China, genauer in Jingdezhen, einer Kleinstadt im Süden mit ein paar Hunderttausend Einwohnern.

Dorthin ist die Sinologin und Keramikerin Anette Mertens seit 1994 vielmals gefahren, um Tradition, Herstellung und den soziologisch-ästhetischen Hintergrund dieser hohen Kunst zu erfahren, schließlich ist sie in der glücklichen Lage, ihre wissenschaftliche Seite mit der künstlerischen in sich zu verbinden. Am gestrigen Sonntag lud sie im Seitenflügel des Caputher Schlosses zu einem Vortrag über die Herstellung des Weißen Goldes in Jingdezhen, ein zweiter Vortrag im Herbst wird sich mit der Geschichte des Sammelns in Europa beschäftigen.

Naheliegend ist der Ort, die Stiftung hat ja genug historisches Geschirr, allein in Caputh gibt es ein ganzes Kabinett davon. Empfehlenswert war die „Porzellansprechstunde“, nicht nur wegen der anschließenden Teeverkostung, sondern auch wegen eines Gangs ins zerbrechliche Kabinett.

Nach einem Einführungsvortrag zeigte die Rathenowerin jedoch zunächst vier Videofilme zum Thema. Im ersten erfuhr man, wie die Massenproduktion von Alltagsgeschirr, Teeschalen zum Beispiel, funktioniert. Alles in Handarbeit, dazu hochspezialisiert, jeder Arbeiter übt sein Leben lang nur einen Arbeitsgang aus. Die Abläufe sind derart perfekt organisiert, dass eine fließbandähnliche Produktion möglich ist. Obwohl die Chinesen einen Drachen über sich wissen, halten sie sich, so die Referentin, gern bodennah. Auch beim Töpfern sitzen sie auf der Erde oder auf einem flachen Möbel, für Hiesige undenkbar. Sogar die Schwung- oder Töpferscheibe, meist von Hand betrieben, ist in den Boden eingelassen. All das erfordert jahrelange Übung, und mehr als Hochgeschick. Glasiert wird übrigens am Rohling, gebrannt bei etwa 1300 Grad.

Drei traditionelle Motivgruppen stehen für die Freihand-Bemalung zur Verfügung: Figuren, Landschaft und Florales. Meist wird Kobaltfarbe verwendet, die erst im Feuer ihren charakteristischen Farbton entfaltet. Dann wurde man in einen Betrieb für Goldfischbecken geführt, wo zwei Handwerker gemeinsam Hunderte Kilo der sehr reinen Tonerde auf der Scheibe verarbeiten: Einer modelliert, der zweite gibt seine eigenen Kräfte dessen Händen dazu. Die gern gekauften Dinger haben einen Durchmesser von mindestens einem Meter.

So billig porzellane Massenware ist, so erzteuer ist, was in den Privatbetrieben für den Kunstmarkt produziert wird. Meterhohe Ziervasen zum Beispiel. Auch hier strengste Arbeitsteilung, da kann beim Bemalen einer nur für wenige Striche zuständig sein – lebenslang! Genau wie beim Masseproduzieren ein Abdreher. Sie entfernen mit Händen oder Werkzeug das Überflüssige vom Rohling – für sie ist das ein einziger Handgriff.

Höchste Vollendung ist immer Ehrensache, in China hat das Porzellan ohnehin eine ganz andere Bedeutung als in Europa: Weiß wie Jade soll es sein, glänzen wie ein Spiegel, dünn wie Papier und wohlklingend wie eine Glocke, so das ästhetisches Manifest. Der letzte Film zeigte den Alltag der Porzellanstadt, und was geschieht, wenn auf dem Markt eine solche Zerbrechlichkeit demoliert wird. Man lernt eben immer dazu, auch bei Anette Mertens. Gerold Paul

Gerold Paul

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