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KulTOUR: Die Obrigkeit ausgetrickst

Jugendliche der Freien Schule am Zernsee holten „Biberpelz“ nach Glindow

KulTOURJugendliche der Freien Schule am Zernsee holten „Biberpelz“ nach Glindow Werder · Glindow - „Ick seh durch meen Hihnerauje mehr, als der durch seen Glasauje.“ Mit charmant-rotznäsigem Altberliner Dialekt und entsprechender Mimik verkörperte Charlotte Beck am Freitagabend im Glindower Kunsthof eine hinreißende Waschfrau Wolffen – die Schlüsselfigur in Gerhart Hauptmanns Diebeskomödie „Der Biberpelz“. Als diesjähriges Klassenspiel ist das Stück am Freitagabend von der achten Jahrgangsstufe der Freien Schule am Zernsee aufgeführt worden. Alle Einwohner schätzen die fleißige und ehrliche Mutter Wolffen, doch die hat es faustdick hinter den Ohren. Dass man „mit dem bissel Arbeit“ nicht weit kommt, hat sie längst begriffen und sucht andere Wege, um ein Auskommen für ihre Familie zu finden. So treibt sie ihren lethargischen Gatten Julius, gespielt von Renard Siegeris, in den Wald, um verbotenerweise einen Rehbock zu schießen und anschließend für gutes Geld an einen Spreeschiffer zu verscherbeln. Des Nachts stiehlt das Pärchen dann eine große Fuhre Feuerholz vom Grundstück des Villenbesitzers und Rentiers Krüger. Und dessen nicht genug: Kurz darauf verschwindet auch noch dessen teurer Biberpelz. Doch statt die Diebstähle aufzuklären, jagt der narzisstische Amtsvorsteher Wehrhahn lieber politisch dunkle, also demokratische, Elemente. Erst nachdem Krüger, in Gestalt von Florian Zeidler, einen gekonnt cholerischen Anfall in der Amtsstube bekommt, ruft der Dorfvogt ein paar Einwohner zur Vernehmung herbei. Unter ihnen ist auch Mutter Wolffen, die mit unschuldig-entrüsteten Knopfaugen ihre Ahnungslosigkeit zu Protokoll gibt. Dem Langfinger – oder besser der Langfingerin – kommt der gutgläubige Amtsvorsteher dadurch natürlich nicht auf die Spur. Als Bestandteil des Lehrplans studieren die Achtklässler der Freien Schule in jedem Jahr ein anderes Stück für ihr so genanntes Klassenspiel ein. Obwohl „Der Biberpelz“ bereits vor mehr als 100 Jahren von Hauptmann verfasst wurde, haben die Schüler einen zeitgeschichtlichen Bezug finden können. „Dass Mutter Wolffen mit ihrer Schläue die dumme Obrigkeit austricksen kann“, habe seine Schüler vor allem fasziniert, sagte Klassenlehrer Marko vom Felde. Sie haben sich mit der patenten Vorstädterin identifizieren können. Zwar würden die Jugendlichen nicht „mopsen wie die Wolffen“, aber doch hin und wieder versuchen, „die Eltern auszutricksen, um über die Runden zu kommen“. Mit den Proben und dem Bau des Bühnenbildes haben die Schüler erst vor wenigen Wochen, mit Beginn der zweiten Schuljahreshälfte, angefangen. Jeden Tag standen zwei Stunden für die Gesamtprobe auf dem Plan, daneben gab es noch etliche Einzelproben. Ob als Darsteller, Kulissenbauer, in der Maske oder bei der Technik, entsprechend ihrer Vorlieben haben alle 18 Schüler an der Inszenierung mitgewirkt – und dabei nicht nur an Bühnenerfahrung gewonnen. „Solche Projekte steigern unheimlich das Selbstwertgefühl“, weiß Schuldirektor Reinhard Lieben. Im Laufe der Zeit habe er beobachtet, wie sogar ehemalige Schulverweigerer, die zu ihm nach Werder geschickt wurden, plötzlich „aus sich herausgekommen“ sind. Davon konnte sich am Freitag auch das Publikum im Kunsthof überzeugen, dem ein beeindruckend kurzweiliger Abend beschert wurde. Andrea Röder

Andrea Röder

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