Potsdam-Mittelmark: Die Qualität der Beule
Die Entdeckung eines Teltower Physikers beschert der Industrie schon heute Millionen-Umsätze
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Stahnsdorf - Der Anfang war ein Ende. Für seine Doktorarbeit hatte der Physiker Frank Mirtsch eine Apparatur gebaut, von der ein Teil kaputt ging. Ein Zylinder beulte ein und funktionierte nicht mehr. Ein Fall für den Müll. Doch in Mirtsch meldete sich der Forscherdrang, über die Grenze des Gewöhnlichen zu finden. Mirtsch hat die Beule, die Form, die sich aus dem „Chaos“ bildete, näher untersucht und erkannte in der Beule eine Struktur, die Antwort auf die Frage gibt, wie Material leicht und dennoch stabil, kostengünstig und von hoher Qualität sein kann. Mirtsch hat das herausgefunden, seine Ergebnisse in 30 nationalen und internationalen Patenten angelegt und sein Unternehmen zum Hoffnungsträger der Region gemacht.
Kaum zu glauben: In einer alten, leer stehenden Fabrikhalle in Stahnsdorf steht eine Maschine, die Blech und anderes Material so verformt, dass der Produktgeschichte verschiedenster Industriezweige und Branchen ein innovatives Kapitel beschert wird. Beim Automobilbau, in der Verpackungsindustrie, in der Architektur, beim Gerätebau, in der Belüftungs- und Klimatechnik, beim Produktdesign finden die Erkenntnis des 64-Jährigen bereits Anwendung.
Am verbeulten Zylinder beobachtete Mirtsch, dass das Material der Belastung ausweicht, dem Druck widersteht, dabei eine andere Struktur annimmt und sich neu ordnet. Er fand heraus, dass das verbeulte Material wesentlich stabiler und belastbarer ist. Je mehr Freiheit dem Material gegeben wurde, sich zu verformen, um so mehr bildete sich die Form eines Wabenmusters. Dem Naturwissenschaftler fiel es nicht schwer, das Spiegelbild natürlicher Vorbilder zu erkennen: das Wabenmuster der Bienen, der Panzer einer Schiildkröte oder die Haut einer Schlange weisen ähnliche Strukturen und Eigenschaften auf. „Man kann Natur nicht kopieren, aber man kann von ihr lernen“, so der Physiker. Und so entwickelte er ein Verfahren, bei dem dünnes Material auf schonenden Weise – durch Druck – verformt wird, so dass es sich versteift. Um die Strukturen herzustellen, benötigt man keine teuren Pressen. Deshalb ist diese Technik besonders wirtschaftlich.
Mirtsch kam zu seinen Erkenntnissen nicht im Schnelldurchlauf. Von dem zerbeulten Zylinder bis heute vergingen 33 Jahre. von 1989 bis 1993 hatte der Hochschulprofessor seine Forschungen zum Schwerpunkt seiner universitären Arbeit gemacht. Schließlich ermunterte ihn ein Kollege, eine Firma zu gründen. Mirtsch ging nach Teltow ins Technolgiezentrum, gründete seine eigene GmbH, baute mit Fördermitteln des Landes seine erste Produktionsmaschine und mietete 1998 eine Fertigungshalle. Seit 1997 nutzt der Miele-Konzern die von Mirtsch entdeckte „Intelligenz in Struktur“ für seine Waschmaschinen. Die Waschtrommeln sind so strukturiert, dass sich völlig neue Strömungseigenschaften des Wassers ergeben. Schonender, sparsamer und schneller läuft der Waschgang, weil das Wasser zwischen der gewölbten Struktur hin- und hergleitet.
Der Weltkonzern Siteco, bekannt für seine innovative Beleuchtungstechnik, hat nach dem patentierten Mirtsch-Verfahren millionenfach Leuchten verkauft, die sich durch „weiches Licht“ auszeichnen, das nicht blendet. Die spezielle Struktur des Materials macht die Leuchten kompakt, leicht und führt zu einer Materialersparnis von 40 Prozent.
Für die SLK-Klasse von Mercedes produziert die Dr.-Mirtsch GmbH inzwischen Karosseriebleche, die besonders leicht und dennoch äußerst stabil sind. In Odessa wurde die 6000 Quadratmeter große Dachfläche eines neuen Sportpalastes mit einem Material gedeckt, das die von Mirtsch entwickelte Wölb-Struktur aufweist und dadurch um 30 Prozent leichter und witterungsbeständiger ist als andere Konstruktionen.
„Die Wertschöpfung aus unseren Erkenntnissen ist enorm“, weiß Miertsch, denn die Anwendungsfelder sind äußerst vielfältig. Nach Jahren der Forschung und ersten produktiven Anwendungen und Lizenzvergaben will Mirtsch mehr. Sein kleines Unternehmen ist vom Teltower Technologiezentrum nach Stahnsdorf in den Greenpark gezogen und hat sich eine Produktionshalle gemietet. Dort soll nicht nur das Material in die spezielle Form gebracht werden. Künftig sollen die Produkte komplett hergestellt werden. „Dabei wollen wir mit Unternehmen der Region kooperieren“, so Mirtsch. Für den regionalen Wirtschaftsstandort könnte Technologie zum Fundament weiterer Ansiedlungen und Produktionen werden.
„Man braucht Geld, Geduld und gute Partner“, betont Schokufeh Mirtsch, Geschäftsführerin im Unternehmen ihres Mannes. In Wissenschaftsendungen wie „Knoff Hoff“ oder „einfach genial“ konnte das Fernsehpublikum staunen, zu welchen technischen Lösungen man kommt, wenn man Materialien so verformt, wie es dies auch auf natürliche Weise tun würde. Nun sei es Zeit, die Effizienz der Natur in sanfte, intelligente Technologien zu übersetzen. „Wir haben lange gebraucht für diese Entwicklung“, so Mirtsch.Nach dem Ende eines Doktoranden-Experiments und den 30 Jahren dazwischen steht alles noch am Anfang. „Jetzt kann es losgehen.“
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