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„Pfarrer sind halt alt.“ Als Helmut Kulla mit 28 Jahren seinen Dienst antrat, kam es schon vor, dass jemand an die Tür vom Pfarramt klopfte und nach seinem Vater fragte. Heute sind die blonden Haare von damals einer grauen Strubbelfrisur gewichen.

© Tobias Reichelt

Potsdam-Mittelmark: Die Regale leergeräumt

Der Pfarrer war fast schon immer da: Nach 37 Jahren im Amt geht Güterfeldes Kirchenmann Helmut Kulla in den Ruhestand und verschreibt sich eine einjährige Abstinenz vom Leben auf dem Dorf

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Stahnsdorf - Es war ein Anblick an den sich die Güterfelder in ihrer Dorfkirche zu gewöhnen hatten: Ein junger Mann aus Jena mit langem blonden Haar, gerade 28 Jahre alt und erst einen Tag verheiratet, betrat im Jahr 1976 die Kanzel. Dieser Helmut Kulla sollte das Pfarramt in dem 1500 Seelen-Ort übernehmen? „Das war schon etwas gewöhnungsbedürftig für ein märkisches Dorf“, sagt Helmut Kulla und greift lächelnd zu seiner Zigarette – „das war es aber für alle.“

37 Jahre später sind die blonden Haare des Pfarrers einer grauen Strubbelfrisur gewichen. Ein Fünf-Tage-Bart bedeckt das Gesicht des 65-Jährigen, legt sich über die Lachfalten. Im September geht Güterfeldes Pfarrer in den Ruhestand – nach einer gefühlten Ewigkeit. Einen klaren Schnitt wolle er machen, sagt Kulla. Er will seine Regale leer räumen, nicht nur die im Pfarramt, auch die in seinem Kopf – um sie mit Neuem zu füllen. Helmut Kulla hat sich eine einjährige Abstinenz vom Dorfleben verschrieben.

„Es gibt ein altes ungeschriebenes Gesetz“, sagt Kulla. Wenn ein Pfarrer in den Ruhestand gehe, solle er soweit wegziehen, dass ihn eine Tages-Reise von seiner alten Wirkungsstätte trennt. Der alte Pfarrer soll dem Neuen nicht im Wege stehen. Kulla zieht nach Potsdam, drittes Obergeschoss, eine Stadtwohnung ohne Garten. „Es muss eine so starke Veränderung sein, dass sie spürbar ist, sagt er.

Spricht man Güterfelder auf der Straße auf ihren Pfarrer an, kommt es nicht selten vor, dass sie von „unserem Herrn Kulla“ sprechen. Ihre Augen bekommen dann einen seligen Blick, der Lebensgeschichten erzählt. Taufen, Trauungen, Konfirmationen oder Beerdigungen. Pfarrer Kulla hat viele Güterfelder begleitet. Hat Trost gespendet, Mut gegeben oder gemeinsam mit seiner Frau, Eva-Marie Rütenik-Kulla, das Dorf belebt.

„Am Anfang kam es schon vor, dass jemand an der Tür vom Güterfelder Pfarramt klopfte und fragte, ob mein Vater da ist“, erzählt Kulla. „Pfarrer sind halt alt.“ Kulla war jung, die Ehe frisch. Schon damals wollte das Paar einen Schnitt, als es aus Jena nach Güterfelde zog. Einen Tag vor Amtsantritt heirateten sie.

Ihre erste Reise als Paar führte sie ins Güterfelder Pfarrhaus. Dort zog damals noch der Wind durch die Fenster, die Türen im benachbarten Stall hingen auf halb Acht, die Waschküche auf dem Hof war einsturzgefährdet und überhaupt der Hof: Bei Regen eine Matschlandschaft, bei Sonne sprossen die Gräser und Kulla musste mit der Sense ran. Rasenmäher gab es nicht. Auch ein Auto fehlte – und das auf dem Land!

Mit einem geliehenen Moped fuhr das Pfarrehepaar bei Wind und Wetter von einer Dorfkirche zur nächsten: Güterfelde, Sputendorf, Schenkenhorst. „Mein Gott das war hart“, sagt Kulla. Und dann noch das Kennenlernen: Jeder kannte jeden – nur Pfarrer Kulla kannte niemanden. Die Häuser ohne Klingel, ohne Namensschild ja teilweise ohne Hausnummer. Dafür knurrte ein Hund hinter dem verschlossenen Hoftor – „und mit Hunden hatte ich nie viel am Hut.“

„Ich habe drei Jahre lang gelernt“, sagt Kulla. Es war die Zeit, in der seine drei Töchter auf die Welt kamen. „Wir wurden alle sehr gut von den Menschen aufgenommen.“ Gemeinsam setzte sich das Paar für den Erhalt der Dorfkirchen ein. Als mit dem Fall der Mauer neue Fördermöglichkeiten offen standen, gestalteten sie auch das Pfarrhaus um. Die Waschküche im Garten verschwand, in mühevoller Handarbeit haben der Pfarrer und seine Helfer die alten Ziegel vom Putz befreit, sie zieren seit dem Jahr 2004 den neuen Gemeindesaal. Der Hof wurde gepflastert. Ein Idyll zwischen Nussbäumen und Sonnenblumen ist entstanden, das Pfarrer Kulla als seinen liebsten Ort in Güterfelde bezeichnet. Andere sprechen scherzhaft von einer Christenfalle, sagt Kulla. Er mag den Gedanken.

Sein Nachfolger wird eine wachsende kirchliche Gemeinde übernehmen. Güterfelde wächst. Inzwischen leben rund um die sanierte Kirche fast 2000 Menschen. Der Kirchenchor ist auf 35 Sänger gewachsen, zehn Konfirmationen gab es in diesem Jahr. Ende September soll die Pfarrstelle ausgeschrieben werden. „Mein Nachfolger wird Hausnummern und Klingeln an den Türen finden.“

„Der Abschied ist furchtbar schwer“, sagt Kulla. Das sei er für alle. Er will sich zurückziehen, will Pfarrer i. R. sein, im Ruhestand. „Ich will lernen, privat zu leben.“ Vielleicht gehen sie auf Reisen. Kulla war noch nie in Istanbul. Aber erstmal wollen sie das Potsdamer Stadtleben genießen. Der Strom in der neuen Wohnung fließt schon. Die Regale sind angebracht. Noch sind sie leer.

Am 15. September hält Pfarrer Kulla in der Dorfkirche seinen letzten Gottesdienst um 9.30 Uhr. Verabschiedet wird er dort am 22. September um 14 Uhr.

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