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Potsdam-Mittelmark: Die Rückeroberung der Güterfelder Heide

Vor sechs Monaten probten im Wald noch die Feldjäger der Bundeswehr – jetzt kämpft nur noch die Natur

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Vor sechs Monaten probten im Wald noch die Feldjäger der Bundeswehr – jetzt kämpft nur noch die Natur Von Peter Könnicke Stahnsdorf - „Achtung Tretmine!“, warnt Hans-Joachim Weber. Was wie ein erst zu nehmender Hinweis klingt, wenn man über ehemals militärisch genutztes Gebiet schreitet, ist in diesem Fall das harmlose Geschäft vom vorausgeeilten Dackel des Forstdirektors. Der einstige Truppenübungsplatz in der Güterfelder Heide liegt grau unter Morgensonne, die sich Mühe gibt, dass man um 8 Uhr früh nicht all zu sehr fröstelt. Cornelia Behm, Kleinmachnower Bundestagsabgeordnete der Grünen, hatte sich gestern mit Forstdirektor Weber verabredet, um sich über die Renaturierung des alten militärischen Sperrgebiets zu informieren, das lange Zeit zwischen Güterfelde und dem benachbarten Schenkenhorst lag. Rechts der Landstraße, die von Güterfelde ins Nachbardorf führt, trainierten bis zum vergangenen Herbst noch Feldjäger der Bundeswehr und bereitete das Führungskommando Soldaten auf ihren Einsatz in Afghanistan vor. Im Oktober hat das Bundesverteidigungsministerium das Areal aufgegeben. Seitdem gehört es zum Grundvermögen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, dem auch das Bundesforstamt zugeordnet ist. Ein weiter Teil des Areals, auf dem die freistehende Ruine eines Hauses ein markanter Blickfang ist, soll Freifläche bleiben. „Hier soll sich ein Lebensraum für Insektenfauna entwickeln“, erklärt Weber die ökologischen Ziele. Zudem wäre die baumfreie Zone ein ideales Jagdrevier für die Fledermäuse, die im Nachbarquartier zu Hause sind. Noch halten in regelmäßigen Abständen die Warnschilder „Militärischer Sperrbezirk“ Naturfreunde zurück, doch bald soll dort Naherholungsgebiet sein, wo lange Zeit Kriegsmanöver geprobt wurden. Links der Straße holt sich die Natur bereits seit über zehn Jahren ihren Lebensraum zurück. Die holprige Fahrt in den Jeeps des Bundesforstamtes führt über sandige Waldwege, die einst der Parcour für Fahrschüler der Armee waren. Heute sind sie Terrain für Jogger und Walker, die es bis auf die angrenzenden Rieselfelder hinaus zieht. Weber und Revierförster Falko Dockhorn parken die beiden Landrover auf einer kleinen Lichtung. „Die Stelle war vor Jahren komplett betoniert und mit einem Haus bebaut“, sagt Dockhorn. Inzwischen ist der Boden wieder bewachsen, ganz natürlich, ohne Zutun des Menschen. „Ein guter Standort“, freut sich Dockhorn über die Heilkraft der Natur. Ein paar Meter weiter schützen Zäune eine Fläche, auf der Wald umgebaut wurde: Märkische Kiefern sind durch Buchen und Eichen ersetzt, Birken und Robinien sind gewachsen. Sie sei zur „falschen Zeit“ gekommen, bedauert Weber gegenüber Behm, denn farblich sind in dem wintermüden Wald keine Unterschiede auszumachen. Doch die Grünen-Politikerin ist nicht umsonst waldpolitische Sprecherin ihrer Partei: Natürlich erkennt sie eine junge Buche auch ohne Blattwerk. Unschwer zu erraten sind die Birken, die sich wie in einem Halbkreis aufgestellt haben und das Ende einer Schneise markieren, die einmal eine Panzerdurchfahrt war. Die einst militärisch genutzte Teil der Parforceheide bei Güterfelde dient heute als Terrain für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Wenn Straßenbauämter oder die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Asphaltpisten durch den Wald legen oder Uferzonen abbaggern, sind diese Eingriffe in die Landschaft auszugleichen. Mit 130 Hektar steht dafür in der Güterfelder Heide ein erhebliches Aufwertungspotenzial zu Verfügung. Rodungen für den Bau der Michendorfer Ortsumgehungsstraße, für Arbeiten an der A9 und A115, Eingriffe in die natürliche Landschaft bei Waltersdorf und auch der geplante Bau der Güterfelder Ortsumgehung werden hier ausgeglichen. Waldarbeiter Tibor Benke ist ein Ausgleicher. Zur Pflanzzeit haut er eine Art Spitzhacke in den Waldboden, reißt die Erde auf, setzt eine junge Pflanze in das Loch und tritt vorsichtig die Erde wieder fest. 600-mal am Tag wiederholt sich dieser Vorgang. 100000 junge Bäume kommen auf diese Art während der Pflanzzeit von November bis April in die Erde. 15000 Euro je Hektar kostet diese Form der Aufforstung. Behms fürsorgliche Anerkennung, dass dieses Tagwerk für Benke und seine zwei Kollegen „reichlich körperliche Arbeit“ bedeutet, lässt Weber anmerken, dass sich die Bundesforst nicht nur um das Wohl der Wälder sorgt. Sie achtet darauf, dass sich ihre Waldarbeiter nicht krumm schindern: Jeden Freitag geht“s für die Männer zur Rückenschule, einen Teil der Trainingsgebühr zahlt der Arbeitgeber. Bei einem Frühjahr mit reichlich Feuchtigkeit, werden zwischen 80 und 95 Prozent der Setzlinge Chancen haben, zu einem Baum zu werden. Panzern werden sie nicht mehr im Weg stehen. Die Natur selbst könnte sie fällen. So wie im Juli 2002, als ein heftiger Orkan über den Landstrich fegte und in der Güterfelder Heide so viele Kiefern brach, dass in nur 15 Minuten 10000 Meter Festholz anfielen. Die Spuren, die diese Kraft der Natur hinterließ, sind heute noch zu sehen. Vielleicht verschwindet mit dem Bau der L 40, die im Norden Güterfeldes neue Wunden entstehen lässt, eine Wunde, die der Sturm in den Wald riss. Man wird sich streiten, ob es einen angemessenen Ausgleich für den Bau der Straße gibt. Doch Gefechte mit Kettenrasseln und Detonationen sind vorbei. In der Güterfelde Heide erobert nur noch einer: die Natur.

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