Von Henry Klix: Die Scholle allein genügt nicht mehr
Landrat Blasig besuchte gestern drei Betriebe im Werderschen Obstanbaugebiet – und versprach Hilfe
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Werder (Havel) - Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt im Werderaner Obstanbaugebiet, Manfred Schulz vom Siedlerhof sprach sie gestern aus: „Bauer zu sein und sich nur um seine Scholle zu kümmern reicht heute nicht mehr.“ Schulz ist dafür selbst ein gutes Beispiel. Auf dem Glindower Siedlerhof kann man sehen, zu welchen Wandlungen die Branche fähig ist. Der Betrieb war gestern eine von drei Stationen von Landrat Wolfgang Blasig (SPD), der im Werderaner Obstanbaugebiet vorstellig wurde. Schulzens Familienbetrieb mit 40 Hektar Obstanbaufläche veredelt 95 Prozent seiner Erträge zu Weinen, Marmeladen oder (inzwischen preisgekrönten) Obstschnäpsen. Fünf Jahre lang wurde umstrukturiert, zum Hofladen gehört eine kleine Schenke, in der auf Bestellung leckere Kost aus Mutters Küche serviert wird. Die Preispolitik des Handels habe zum Umdenken gezwungen, so Schulz. Zur „Scholle“ kam nicht zuletzt die aufwendige Destille hinzu. Die Arbeitstage seien lang, sagt Schulz.
Im Umbruch befindet sich auch der Obsthof Lindicke – zweite Station des Landrates. Stefan und Bettina Lindicke denken derzeit über den richtigen Weg nach: Sollen sie ihre 25 Hektar Obstanbaufläche ausweiten oder verkleinern? „Für einen kleinen Familienbetrieb ist es zu viel, und um Leute fest einzustellen zu wenig“, so Obstbaumeister Stefan Lindicke, der den Hof erst 1995 in Betrieb nahm. Die Erzeugnisse werden, wie bei vielen Obstbauern der Region, im Hofladen und auf Berliner Märkten direkt an den Kunden gebracht. Zum Hoffest am Sonntag kamen rund 2000 Besucher und verkosteten die über 20 alten und neuen Apfelsorten, die bei Lindickes neben anderem Obst und Gemüse wachsen.
Gerade die Arbeit auf der Scholle sei es, die er an seinem Beruf schätzt und liebt, sagt Stefan Lindicke, dessen Familie in Werder auf eine über 300-jährige Obstbautradition zurückblicken kann. Doch wie Schulz weiß auch er, dass immer mehr Zeit in den Absatz investiert werden muss. Die Finanzkrise ist auch in Plessow zu spüren, statt mit zehn gehen die Kunden derzeit eher mit fünf Kilo Äpfeln vom Hof. Lindickes sind nicht frei von Furcht, auf ihrem Hof einmal nur noch als „Touristenbelustiger“ beschäftigt zu sein.
Landrat Blasig war gestern aufmerksamer Zuhörer und bot Hilfe an: In der Abteilung Wirtschaftsförderung sei ein „Frühwarnsystem“ eingerichtet, um Unternehmen in Not gemeinsam mit den Kommunen unterstützen zu können. „Abgestimmtes Handeln kann Erfolge erzielen“, so Blasig, der mit den Betriebsbesuchen gestern dokumentieren wollte, „wie wichtig uns dieser Wirtschaftszweig ist“. Eine Zusage gab es auch: Beim Brauchwasserproblem werde sich der Kreis „nicht vom Acker machen“. Das Brauchwasser, auch das wurde gestern deutlich, ist für den Erhalt der ohnehin schrumpfenden Zahl der Werderaner Obstbauern überlebenswichtig. Ein städtisches Sanierungskonzept für das marode Leitungsnetz und das Glindower Pumpwerk, mit dem das Havelwasser seit DDR-Zeiten auf die Plantagen befördert wird, soll demnächst fertig sein – Bürgermeister Werner Große (CDU) ist dann jede Hilfe willkommen.
Auch Obstbauern wie Andreas Berger oder Manfred Seidel, die hier beide jeweils über 300 Hektar Anbauflächen bewirtschaften, nutzten gestern die Gelegenheit, um den Landrat kennenzulernen. Berger appellierte, die Flurneuordung stärker zu nutzen, um wirtschaftlich sinnvolle Kernflächen für den Obstbau zu bestimmen. Seidel sprach sich für ein Förderprogramm zur Sortenerneuerung aus: Für drei Hektar Rodungen sollte ein Hektar Neuanpflanzungen gefördert werden, um zum Beispiel veraltete und schlecht zu verkaufende Kirschenstrukturen zu erneuern. Bei Großhandelspreisen von 30 Cent für das Kilo Äpfel seien die Spielräume der Obstbauern eingeschränkt, so Seidel. Mit vormals 450 Hektar Anbaufläche verzichtete er in diesem Jahr darauf, Pachtverträge für 120 Hektar zu verlängern.
Dritte Station von Landrat Blasig war der Tannenhof in Plessow. Selbst der Weihnachtsbaum scheint nicht mehr krisenfest zu sein, denn auch die Tannenhof-Inhaber, das Ehepaar Gerald Mai und Karin Lorenz, hatten schon Marktturbulenzen zu überstehen. In diesem Jahr werden die Preise allerdings um rund zehn Prozent steigen. Weihnachtsbäume sind knapp, vor drei Jahren wurden wegen eines Stichtages für eine EU-Flächenprämie viele dänische Plantagen gerodet.
In einigen Jahren, wenn die neuen Megaplantagen einiger Finanzinvestoren soweit sind, könnte sich die Situation allerdings umkehren, fürchtet Gerald Mai. Der Tannenhof setzt auf seine Stammkundschaft, die er sich in 20 Jahren geschaffen hat: Zwischen Rostock und Halle gibt es 30 Verkaufsplätze – weit über die Hälfte der hier angebotenen Bäume kommen direkt von den 50 Hektar ehemaliger Obstplantagen des Tannenhofs in Plessow, auf denen heute von Klassikern wie der Nordmanntannen bis zu Exoten wie der Koreatanne so ziemlich alles wächst. Im Hofladen gibt es Tannenlikör, Shropshireschafe halten das Unkraut kurz.
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