zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Die Touristen bleiben weg

Stadtführergilde sucht Nachwuchs und will mit neuer Infotafel mehr Gäste für Führungen gewinnen

Von Enrico Bellin

Stand:

Werder (Havel) - Arbeiten, wenn andere Freizeit haben – das ist das Los eines Stadtführers. Das dies nicht sehr attraktiv ist, spüren die Mitglieder der Werderaner Stadtführergilde: Sie suchen dringend Nachwuchs. „Wir sind sehr viele Rentner und brauchen junge Leute unter uns, die sich neuen Themen annehmen“, sagt Heidemarie Garbe. Sie ist Mitglied der 2004 gegründeten Gilde und betreibt das Heimat-Café Muckerstube in der Brandenburger Straße.

Die Stadtführergilde hat 13 Mitglieder, alle sind zertifiziert durch den Bundesverband der Gästeführer in Deutschland. „Dafür muss man sich ein breites Wissen über die Ortshistorie zulegen und eine Führung mit Mitgliedern des Verbandes und der örtlichen Wirtschaft bestehen, was enorm viel Zeit kostet“, sagt Stadtführerin Jutta Enke. Das schrecke viele Interessenten ab, zudem könne man schwer von den Stadtführungen leben.

Enke selbst bietet auch Touren in Potsdam und dem Havelland an, sie ist die einzige hauptberufliche Stadtführerin unter den Gildemitgliedern. Etwa 500 Gäste führte sie 2013 samstags oder auf Sonderterminen durch die Blütenstadt. Ein Großteil der Teilnehmer der Führungen sind Enke zufolge Zugezogene, die neugierig auf ihren neuen Wohnort sind.

„Früher haben wir täglich Führungen angeboten, die wurden sehr schlecht angenommen“, so Enke. Teilweise gab es Probleme, wenn sie Ausflüge beispielsweise zum Derwitzer Lilienthalmuseum organisierte und feste Termine mit dortigen Betreuern absagen musste, weil niemand zur Führung kam. Auch der Versuch einer Rufbereitschaft, bei der Mitarbeiter der Touristeninformation einen Stadtführer nur dann rufen, wenn tatsächlich Interessenten da sind, scheiterte. Die angebotenen Touren in Englisch, Tschechisch und Slowakisch werden ebenfalls nicht nachgefragt.

Doch es gibt Ideen, die Führungen bekannter zu machen: „Wir brauchen eine Informationstafel vor der Inselbrücke, auf der die Termine und Themenschwerpunkte der Führungen stehen“, so Heidemarie Garbe. Dann könnten auch die zahlreichen Tagestouristen sehen, ob es am Nachmittag noch Führungen gibt. Außerdem sollen neue Veranstaltungen weitere Gäste anziehen. „Derzeit sind wir in Verhandlungen zu Führungen durch das 1878 erbaute Schulgebäude“, so Garbe, die in Werder nur als „Muckersche“ bekannt ist. Im Februar schlüpft sie zudem in eine neue Rolle: Als „Frau Obstzüchterin“ erzählt sie in ihrer Muckerstube vom Leben in Werder vor 100 Jahren.

Die Informationen dazu stammen von ihrem Urgroßvater, der selbst Obstbauer war und ihr eine genaue Buchführung für die Jahre 1892 bis 1906 hinterließ. Heidemarie Garbe: „Da konnte ich beispielsweise sehen, dass sich die Versicherungsprämie für den Hof innerhalb von drei Jahren auf 24 Mark verdoppelte. Die Unternehmen waren damals also auch schon dreist.“ Neben dem Buch fand Garbe eine komplette Ausstattung an Granat-Schmuck, den sie zu ihren Erzählungen anlegt. „Auftucken“ habe man das in Werder früher genannt.

Auch Jutta Enke weitet ihr Programm aus. So arbeitet sie an neuen Erzählungen zum havelländischen Obstanbaugebiet. „Ich habe ganze Kisten mit Dias zum dörflichen Leben und der Feldarbeit in der Region, die ich noch durchforsten muss“, so Enke. Ihre Vorträge sind nicht statisch, die Zuhörer können jederzeit Fragen stellen. Im Gegensatz zu den Führungen werden die regelmäßig in der Muckerstube angebotenen Plaudereien - wie Enke ihre Erzählungen nennt - sehr gut angenommen, besonders im Winter.

Dabei schlüpft die gebürtige Fürstenwalderin in verschiedene Rollen, unter anderem spielt sie eine Gouvernante aus dem 19. Jahrhundert, die mit dem Zug nach Werder reist, um einem Krebsessen bei örtlichen Industriellen auf der Inselstadt beizuwohnen. Enrico Bellin

Am Sonntag, 19. Januar, 15 Uhr, liest Jutta Enke Sagen aus Werder in der Muckerstube, Brandenburger Str. 164

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })