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Von Erhart Hohenstein: Die vergessene Schlacht

Prof. Christian Gizewski strebt in Ferch Erinnerungsstätte für die Toten der Waldkämpfe vom April 1945 an

Stand:

Schwielowsee - Ferch wird wegen seiner landschaftlichen Schönheit gerühmt und ist als Malerort in vieler Munde. Doch nicht nur darin liegt die Bedeutung des Dorfes am Schwielowsee, meint Professor Christian Gizewski. Der Berliner Historiker, ein anerkannter Spezialist für Alte Geschichte, verweist auf die blutige Schlacht, die Ende April 1945 in den Wäldern um den idyllischen Ort tobte.

Auf den Seelower Höhen, wo 82 000 sowjetische und deutsche Soldaten fielen, und in Halbe, wo es in der Kesselschlacht 40 000 Tote, darunter viele Zivilisten, gab, erinnern Gedenkstätten an die Opfer. Die Schlacht bei Ferch aber scheint vergessen. Erst auf private Initiative des Müncheners Ernst Rose, dessen 18-jähriger Bruder 1945 bei Neuseddin gefallen war, wurde 1994 ein Grabkreuz für die hier gefallenen deutschen und russischen Soldaten aufgerichtet. Es nennt 80 000 Tote.

Diese Zahl sei sicher zu hoch gegriffen, meint Gizewski, doch von mehreren 10 000 Gefallenen müsse man ausgehen. Wie in Seelow oder Halbe ihrer zu gedenken, dafür sollte in Ferch zumindest eine bescheidene Erinnerungsstätte geschaffen werden, meint der Historiker. Zudem habe die Schlacht eine hohe Bedeutung für den Fall Berlins gehabt.

Die Armee Wenck war am 27. April 1945 in den Raum südwestlich von Berlin vorgedrungen, um in die Hauptstadt vorzustoßen und dem Krieg noch eine Wende zu geben. Der Wehrmachtsbericht vom 27. April feierte sie als „schwungvoll angreifende junge Divisionen“, die den Raum von Beelitz erreichten und dort „in schweren Waldkämpfen mit den Sowjets“ standen. Tags darauf warfen sie „den Feind in erbittertem Ringen“ zurück und „haben Ferch erreicht“.

Doch die zahlenmäßig und waffentechnisch weit überlegene 4. Gardepanzerarmee unter Generaloberst Leljuschenko bot alles auf, um den in Richtung Caputh und Michendorf fortgesetzten deutschen Angriff zu stoppen. Das gelang der Sowjetarmee unter schweren Verlusten an der Autobahnstrecke nach Berlin, und so musste Generalfeldmarschall Keitel Hitler in einem Funkspruch melden, dass „die Spitze Wenck südlich des Schwielowsees“ festliege und „den Angriff auf Berlin nicht fortsetzen“ könne. Es gibt Hinweise, dass diese Mitteilung letzter Auslöser für den Selbstmord Hitlers war.

Die Armee Wenck hielt bis 1. Mai ihre Stellungen in den märkischen Wäldern, bevor sie sich an die Elbe absetzte und den westalliierten Truppen ergab. Die Kampfhandlungen spielten sich meist außerhalb der Ortschaften ab, so dass Belzig, Werder und die meisten anderen Orte im Mittelmärkischen vergleichsweise geringe Schäden erlitten. Auch deshalb hat Gizewski, der für die Aufarbeitung des Geschehens und die Einrichtung der Erinnerungsstätte ein Projekt „Pro Ferch“ in Angriff genommen hat, bisher kaum Zeitzeugen gefunden. Er hofft auf Unterstützung des Fercher Heimatvereins.

Dürftig ist auch die Quellenlage. Gizewski hat zunächst einen PNN-Beitrag „Schwere Waldkämpfe bei Beelitz“ vom Mai 2005 herangezogen, der in wesentlichen Teilen auf Forschungen des Zeitzeugen und Heimatgeschichtlers Hans Rinza beruht. In den Wäldern liegen neben Kriegsgerät und Munition Tausende gefallene Soldaten, die in vielen Fällen als bis heute „unbekannte Tote“ notdürftig verscharrt wurden. Mehr als 60 Jahre nach Kriegsende sind noch immer viele Schicksale ungeklärt. Gizewski hat nun mit den zuständigen Forstbeamten ein Gespräch vereinbart, um über mögliche Fundstätten zu beraten. Er will außerdem im Militärgeschichtlichen Forschungsamt und beim Lehrstuhl für Militärgeschichte an der Universität Potsdam um Unterstützung werben.

„Ob solch eine Erinnerungsstätte an die Schlacht in den Fercher Wäldern eingerichtet wird, obliegt natürlich der Entscheidung der Gemeindevertretung“, erklärt der Historiker. Er würde sich freuen, wenn viele Fercher und Einwohner der umliegenden Orte sein Projekt unterstützen und sich bei ihm melden würden.

Kontakt: Christian Gizewski, Telefon (030) 833 7810, im Internet unter www2.tu-berlin.de/fb1/AGiW/ProFerch/Konzept.html

Erhart Hohenstein

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