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KulTOUR: „Die Welt ist wieder normal!“

Papstentführung bringt den Weltfrieden für einen Tag nach Wilhelmshorst

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Michendorf - Stehende Ovationen, Beifall, Jubelrufe am Ende der Premiere für die Kleine Bühne Wilhelmshorst in Michendorfs Gemeindezentrum.

Vielleicht weiß das heute nicht mehr jeder: Mitte Juli 1983 wurde in Brooklyn, New York, Papst Albert IV. für zwei oder drei Tage entführt. Später stellte man das als „Kurzurlaub bei der befreundeten Familie Leibowitz“ dar, doch der brasilianische Autor Joao Bethencourt (1924-2006) ließ sich von der offiziellen Lesart nicht täuschen, sein Stück „Der Tag, an dem der Papst entführt wurde“ (U.A. 1972) schildert die Tatsachen pur.

Danach hat der skurrile Taxifahrer Samuel Leibowitz (Mario Schüning) den Papst – ob übergroßer Menschenliebe so berühmt wie für sein ständiges Ausbüxen vom Protokoll gefürchtet – einfach mit nach Hause genommen und in der Vorratskammer versteckt. Die Forderung des jüdischen Korea-Veteranen: Er gibt Seine Heiligkeit (Klaus-Dieter Becker) erst heraus, wenn die gesamte Welt einen Tag lang Frieden hält und niemand jemanden tötet. Ob das gelingt? Sohnematz Irving (Thomas Drechsel) ist sofort auf seiner Seite, Gattin Sara (Karina Lehmann) indes fürchtet den elektrischen Stuhl, man kennt ja seine Amerikaner.

Die höchst motivierte Amateurtruppe hat sehr darum gekämpft, dass Regisseur Siegfried Patzer nach dem Erfolg des Startprogramms vor fast einem Jahr ihrem Anliegen „Theater vor Ort von Bürgern für Bürger“ treu bleibe. Er übernahm die „Komödie“. Allerdings sieht man dieser Produktion die unterschiedlichen Arbeitsstufen noch an, der erste Akt ist flüssig gearbeitet.

Nach der gastlichen Pause sah die Sache etwas anders aus. Hier waren diplomatische Bande mit dem örtlichen Kardinal O´Hara (Wolfgang Gnauck) zu knüpfen, hier nahte die Katastrophe als schwerbewaffnetes Polizeiaufgebot von jenseits der vieltürigen Wohnküche, hier ging es auch um die theatralisch vernachlässigte Frage, ob nun der Papst oder sein Kardinal ein echter Christ und Menschenfreund ist. Nach seinem historischen Handschlag mit dem katholischen Oberhaupt und dem Verrat seines Vetters Sam geriet der schlitzohrige Rebbe Meyer (Peter Peterhänsel) aber fast zur Staffage, Papst Albert blieb trotz seines Kücheneinsatzes und erklärtem Hang zum Unkonventionellen stets einschichtig. Merkwürdigerweise stahl er Samuel bei dessen ephemeren Friedenswerk gar den Rang des Protagonisten. Tochter Miriam, als Vanessa Rathsack bei einem Probenbesuch noch etwas schüchtern, lieferte einen guten Part, das Ehepaar, er poltrig und derb, sie mal energisch, dann voller Innigkeit, handelte ganz vorzüglich.

Siegfried Patzer bediente die zweistündige Arbeit nach Kräften, guter Rhythmus, lebendiges Spiel, Spannung, Details, doch jene Gründe ließen sein Werk nach der Pause verblassen. Komödie oder Farce, was war es nun? Vielleicht lag es auch am Ernst der Lage: Durch Vermittlung der UN kam tatsächlich ein planetarer Friedenstag zustande, was Samuel vor dem Polizeizugriff rettete. Am folgenden war die Welt dann wieder „normal“.

Nach den Auftritten am Wochenende ist leider bis zum November schon wieder Schluss mit dem Theater. Schade, dieses große Thema bräuchte auch „zwischendurch“ viel Publikum.

Gerold paul

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