zum Hauptinhalt

KulTOUR: Die Welt klug in Worte gefasst

Lyriker präsentierten ihre Werke im Peter-Huchel-Haus – und gaben sich dabei sehr lebendig

Stand:

Michendorf - Ausgerechnet der wenig gelesene Exot unter den schreibenden Genres vermeldet derzeit einen „Boom in der deutschen Literatur“ : Die Junge Lyrik. Mehr noch: „So klug wird derzeit nirgendwo sonst die Welt in Worte gefaßt“, heißt es im Begleittext zu der nicht schmalen Anthologie „Laute Verse“, welche das auch beweisen möchte. Will heißen: Hier meldet sich die „mittlere“, nach 1970 geborene Lyriker-Generation zu Wort, mit Lauten und Versen. Nico Bleutge, Anja Utler und Jan Wagner sind nicht nur Autoren dieses Buches, sie waren jüngst auch die Protagonisten der Literaturveranstaltung 2009 im Peter-Huchel-Haus.

Etwa 25 Gäste zog diese Veranstaltung an, so viel, wie Herausgeber und Moderator Thomas Geiger (Literarisches Kolloquium Wannsee) an Autoren in diesem repräsentativen Band versammelte – mit der Bitte, jeder möge eines seiner Werke kurz und schriftlich kommentieren. Die drei preisgekrönten Poeten hatten damit kein Problem, fast jeder Leser, so war mit lakonischem Seufzer zu hören, lechze ohnehin nach gültigen „Erklärungen“.

Nico Bleutge scheint Begriffe zwischen Erleben und Text zu schieben, er stellt Fragen an seine Wirklichkeit. Ihn interessiert das Spannungsverhältnis von Gestern und Jetzt, mithin von Eingedenken und Sein. Was taugen „Erinnerungsbilder“ noch, werden sie irgendwann nicht zu Erfindungen? Das Gedicht „Nicht Farbe“ erzählt auf verschiedenen Ebenen von seiner Oma, die von ihrer Familie getäuscht und wider Willen in ein Siechenheim abgeschoben wurde. Sie reagierte darauf bis zum Heimgang mit eisigem Schweigen. Nur die Wärme ihrer Hand verriet, dass sie noch lebte. Hier bleiben das Erinnern erhalten, der Autor, die Werkstatt – am wenigsten leider die Intention im Text.

Die gleichfalls im Süddeutschen geborene Anja Utler dichtet ihre Sachen eher ad hoc, an den Leser denke sie dabei so wenig wie an deren mögliche Rezeption. Ihren Texten wünsche sie statt eines Ade „alles Gute“, und lässt es dabei bewenden. Lyrik-Anthologien? „Liest ja doch keiner!“ Vielleicht ist die promovierte Autorin selbst eine Differenz, wenn sie sich zwar als „akustischer Typ“ versteht, aber weder den Laut-Poeten noch dem „musikalischen Typus“ zugeschlagen werden möchte. Wie immer auch, ihr literarischer Reflex auf einen Sibyllentext von Maria Zwetajewa, darin es heißt, die Seherin sei „ausgelöscht – Gott aber kam“, gestaltete sich zu einem expressiv-dadaistischen Vortrag mit Soufragettengefühl und Staccato. Ihr Verständnis griechischer Mythologie freilich, etwa im Apoll-Marsyas-Text, blieb etwas hinter dem Wissen der Romantiker zurück.

Jan Wagner ist ein Vollblut-Poet. Der Hamburger packt die Dinge kraftvoll und lebhaft beim Schopfe, stellt sie mehr anschaulich als vorreflektiert in den Text, besingt den toten Spatzen bei Guerickes Vakuumversuch in Magdeburg, fühlt mit einer arg bedrängten Südpolar-Expedition, und erntete auch mal Szenenapplaus. Anders als seine Kollegen gebraucht und verteidigt er Form und Versmaß im Reiche der Lyrik, die „Motoren“ seiner Dichtung, energisch, was er an einer erstklassigen Sestine zum Thema Garten bewies. Außerdem hatte der kluge Schnellsprecher den „Schalk im Mundwinkel“ mitgebracht, jene heiter-lockere Art eines Vortrages, die solchen Veranstaltungen fast immer. Lyriker wollen ja meist rein und tief und hehr erscheinen, ob sie Politiker wären! Lebendigkeit ist allemal besser!

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })