Potsdam-Mittelmark: Drecksarbeit war gestern
Moderne Technik verändert die Landwirtschaft – doch auch in der Region Werder fehlt der Nachwuchs
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Werder (Havel) - Vorsichtig zupft Angela Reimann an den Plastikzitzen einer Kuh. Die Initiative „Landaktiv“ hatte das Pappmaché-Tier mit Euter am Donnerstagnachmittag im Werderaner Oberstufenzentrum aufgebaut, in einer Informationskampagne quer durchs Land mit der SPD-Landtagsfraktion sollen mehr Jugendliche für die grünen Berufe auf Feld und Flur, mit Tier und Traktor begeistert werden. „Landwirtschaftliche Berufe sind Berufe der Zukunft“, rief Günter Baaske, SPD-Fraktionschef im Landtag, den Jugendlichen in der OSZ-Aula zu. Zwar wurden seit 1989 vier Fünftel der Beschäftigten in der Landwirtschaft abgebaut – doch heute fehlen diese Kräfte, erklärte Udo Folgart, Präsident des Landesbauernverbands.
„Voriges Jahr waren 60 Prozent der Betriebsleiter älter als 60“, mahnte Folgart. „Wir suchen händeringend nach neuen Leuten in fast allen Bereichen“, erklärte auch Bernd Raeuber vom Groß-Kreutzer Fruchtexpress, dem Mutterbetrieb von Werder-Frucht. Sein Betrieb habe sich seit 1995 von 20 auf rund 300 Mitarbeiter vergrößert: „Wir bekommen keine Fachkräfte mehr, deshalb bilden wir aus.“
Testmelkerin Angela Reimann hat sich mit ihrer Ausbildung am OSZ derweil für einen anderen grünen Beruf entschieden: Sie machte keinen Hehl daraus, dass ihr das Melken nicht liegt. Aber auch als Floristin hat sie nach der Ausbildung mehr Chancen, als viele vermuten, erklärt Anna Reichmuth von der Fachhochschule Eberswalde. Wer am OSZ in den Bereichen Floristik, Gärtnerei, Agrarservice sowie Land- oder Pferdewirtschaft sein Fachabitur macht, kann damit später in Eberswalde berufsnah studieren, zum Beispiel Ökolandbau und Vermarktung. Ein Studienabschluss kann dann ganz neue Möglichkeiten eröffnen, wie Manfred Kleinert vom Obstgut Marquardt weiß. „Ausgebildete Landwirte aus Werder arbeiten heute in Chile, Neuseeland oder Südafrika“, erklärt Kleinert, der das allerdings bedauert: Auch das seien die Fachkräfte, die später fehlen.
Dennoch würde Bauernverbandschef Folgart, der einen eigenen Betrieb leitet, jeden seiner Azubis zum Studium ermutigen, erklärt er in einem gespielten Bewerbungsgespräch mit Birk Illgner, Schülersprecher am OSZ. Die Betriebe brauchen junge Menschen, die später die Firma leiten, erklärte er Illgner, der mitten in der Ausbildung zum Landwirt steckt.
„Mit den Hühnern aufstehen und die Drecksarbeit leisten, das wollen viele nicht“, erklärte Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) den Fachkräftemangel. Dabei sei der Beruf des Landwirt dank moderner Technik heute attraktiver als je zuvor. Viele der Aufgaben, vom Säen bis zum Ernten, erfolgen automatisch. Trotzdem muss man grundsätzliches Interesse für die Arbeit auf dem Feld und mit Tieren mitbringen und zwar zu jeder Zeit, mahnt Uwe Naujoks, Geschäftsführer der Agro Saarmund. Schließlich halte sich die Natur nicht an feste Arbeitszeiten, erklärte Naujoks.
Voraussetzung für eine Stelle ist bei fast allen Betrieben aber ein Vorpraktikum – weniger die guten Noten, war von den Chefs zu hören. Aussortiert – und zwar „ohne Diskussion“ – werden dafür beim Frucht-Express Bewerber mit unentschuldigten Fehlstunden auf dem Zeugnis, erklärte Leiter Raeuber.
„Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz sind zur Zeit enorm hoch“, weiß IHK-Vertreter Wolfgang Spieß. Deshalb brauchen sich Angela Reimann und Birk Illgner kaum Sorgen über einer Übernahme machen, sind doch die Arbeitslosenzahlen bei Floristen und Landwirten zuletzt stetig gesunken. Ordentlich ausgebildet stehen ihnen viele Karriere-Chancen offen.
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